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Für eine konsequentere Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts

Der Rat für Migration begrüßt, dass eine Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts angegangen wird. Ein deutlich einfacherer Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft bietet für die (post-)migrantische Gesellschaft ein großes Potential zur Herstellung der Rechtsgleichheit und stärkt damit insgesamt die Demokratie in Deutschland. Insbesondere die generelle Anerkennung von Mehrstaatigkeit ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Der am 19. Mai 2023 vom Bundesinnenministerium veröffentlichte Referentenentwurf enthält aber auch problematische Punkte, die das eigentliche Ziel der Reform gefährden, da sie das Einbürgerungsverfahren verlängern und verkomplizieren würden. Den Einbürgerungsbehörden würde ein erheblicher Aufwand zur Prüfung von recht unbestimmten Voraussetzungen aufgebürdet, was zu Rechtsunsicherheiten führt. Insgesamt ist zu befürchten, dass die positiven Aspekte der Reform in der Praxis verpuffen könnten, wenn die Betroffenen sich nach wie vor nicht wirklich als Gleichberechtigte in Staat und Gesellschaft willkommen geheißen fühlen, sondern befürchten müssten, einer zumindest teilweise von Misstrauen geprägten Überprüfungsprozedur ausgesetzt zu sein.

Die demokratische Lücke zwischen Wohn- und Wahlbevölkerung wird sich so nicht schließen lassen. Migrant*innen bleiben somit der Sonderfall unter den Inländer*innen in Deutschland. Im Schnitt der letzten 15 Jahre (2008-2022) lag das ausgeschöpfte Einbürgerungspotential bei gerade mal 2,30 % jährlich.[1] Um hier eine Trendwende zu bewirken, bedarf es eindeutiger Signale, dass Einbürgerung gewünscht ist. Aber auch klarer Signale an die Stellen, die für die Umsetzung des Einbürgerungsrecht zuständig sind, dass Einbürgerung staatlich gewollt ist und entsprechend auf der Prioritätenliste, – gerade auch was die personelle Ausstattung angeht, – nach oben gesetzt werden soll. Trotz der Reformen der letzten drei Jahrzehnte ist das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht nach wie vor nicht frei von kulturalistischen Prägungen, die einem modernen Staatsangehörigkeitsrecht gerade auch in der Praxis im Wege stehen.[2]

Generelle Akzeptanz von Mehrstaatigkeit ist ein längst überfälliger Schritt

Die generelle Akzeptanz von Mehrstaatigkeit ist ein längst überfälliger Schritt. Er entspricht einem internationalen Trend,[3] der auch im Einklang mit dem Völkerrecht steht (ausdrücklich zugelassen wird Mehrstaatigkeit vom Übereinkommen zur Staatsangehörigkeit des Europarats vom 6.11.1997 im Gegensatz zum von Deutschland und vielen anderen Staaten inzwischen gekündigten Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern vom 6. Mai 1963). Mehrstaatigkeit wird in der Praxis für die Mehrheit der Einbürgerungsbewerber*innen schon lange akzeptiert, zuletzt für 74,1 Prozent.[4] Außerdem entsteht sie häufig bei Kindern aus binationalen Ehen und wird hier seit Jahrzehnten unproblematisch akzeptiert. In der Praxis sind keine nennenswerten Probleme bekannt, die durch die Mehrstaatigkeit entstanden wären.[5]

Es geht jetzt darum, allen, die sich für eine Einbürgerung entscheiden, unabhängig von ihrem Herkunftsland, gleichermaßen Mehrstaatigkeit zu ermöglichen und damit eine faktische Ungleichbehandlung zu beenden, die sich vor allem zum Nachteil von Personen mit türkischer Staatsangehörigkeit ausgewirkt hat. Dieser Schritt ist gleichheitsrechtlich geboten und wir begrüßen ihn ausdrücklich.

Die zum Teil geäußerte Sorge vor Loyalitätskonflikten bei Mehrstaatigkeit ist unbegründet. Es gibt im deutschen Recht keine ausdrücklichen staatsbürgerlichen Loyalitätspflichten. Inwiefern überhaupt implizit Loyalitätsvorstellungen eine Rolle spielen, ist umstritten und variiert je nach Staatsbürgerschaftsverständnis. Loyalitätsvorstellungen beruhen im Kern auf einem nicht mehr zeitgemäßen exklusiven Zuordnungsdenken und sind noch durch lehnsrechtliche Angehörigkeitsbeziehungen mitgeprägt. Statt rückwärtsgewandter Loyalitätskonzepte bedarf es eines Konzepts von Staatsbürgerschaft, das den bereits vielfach positiv gelebten Bindestrich-/hybriden Identitäten in der (Post-)Migrationsgesellschaft gerecht wird.[6] Dass dies nicht zu mangelnder Identifikation mit dem Einwanderungsland führt, belegen insbesondere die Vereinigten Staaten eindrucksvoll.

Wir begrüßen, dass das Prinzip der Vermeidung von Mehrstaatigkeit auch jenseits des Einbürgerungsrechts konsequent aufgegeben werden soll. Zum einen durch den Wegfall der Optionspflicht, zum anderen aber auch beim Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit durch deutsche Staatsangehörige auf Antrag und bei der Adoption von Minderjährigen. Auch die Regelungen zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit wegen des Wehrdienstes in fremden Streitkräften oder der Beteiligung an Kampfhandlungen terroristischer Vereinigungen sollten aus diesem Grund gestrichen werden, da es sich hierbei um Sonderrecht nur für Mehrstaater*innen handelt, das das Staatsangehörigkeitsrecht in problematischer Weise zu einem Sanktionsrecht macht.

Einbürgerungsvoraussetzungen entschlacken: Keine Klärung der Staatsangehörigkeit(en) mehr

Konsequenterweise sollte mit der generellen Akzeptanz von Mehrstaatigkeit auch die Klärung der Staatsangehörigkeit(en) als Einbürgerungsvoraussetzung gestrichen werden.[7] Wenn Einbürgerungen generell unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen werden, braucht es diesen in der Praxis nicht selten sehr aufwändigen Prüfungspunkt nicht mehr. Gerade im Zusammenhang mit sich auflösenden Staaten wie im Fall von Jugoslawien hat die Klärung der Staatsangehörigkeit(en), um das Entstehen von Mehrstaatigkeit zu vermeiden, zu praktisch sehr schwierigen Problemen geführt. Insbesondere waren jene Konstellationen problematisch, in denen aus Sicht der deutschen Einbürgerungsbehörden die Möglichkeit mehrere Staatsangehörigkeiten zumindest nicht ausgeschlossen werden konnte. Eine abschließende Klärung der Staatsangehörigkeiten war in solchen Fällen selbst nach aufwändigen Verfahren oft nicht möglich.

Verkürzung der Aufenthaltszeiten: Auf Gleichlauf mit der Aufenthaltsverfestigung achten

Die vorgesehene Fristverkürzung für die Einbürgerung auf fünf Jahre ist grundsätzlich positiv. Sie sollte aber – wie in Kanada – weiter auf drei Jahre verringert werden, wenn auch die Frist für die Niederlassungserlaubnis, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, auf drei Jahre verkürzt wird. Es besteht kein gesellschaftliches Interesse daran, dass Menschen sich hier rechtlich im Status als „Ausländer“ verfestigen. Wer absehbar dauerhaft bleibt, sollte nicht erst in eine potenziell desintegrierende Warteschleife im Ausländerstatus geschickt werden, sondern das demokratische Prinzip gleichberechtigter Teilhabe sollte möglichst frühzeitig gelebt werden. Die jetzt vorgesehene Möglichkeit einer Verkürzung der für die Einbürgerung erforderlichen Aufenthaltszeiten auf drei Jahre bei besonderen Integrationsleistungen ist dagegen zu unbestimmt gefasst. Anstatt weitere Ermessenstatbestände einzuführen, sollten hier klare gesetzliche Vorgaben gemacht und die Tatbestände als Rechtsanspruch ausgestaltet werden.

Ius soli: Aufenthaltsrechtliche Voraussetzungen an Einbürgerung anpassen

Der Rat begrüßt es, dass beim Ius soli (Geburtsortsrecht) wie auch bei der Anspruchseinbürgerung die Voraufenthaltszeit der Eltern von acht auf fünf Jahre abgesenkt werden soll. Allerdings ist dieser Reformschritt absehbar nicht hinreichend. Neben der Aufenthaltszeit setzt das Ius soli nämlich, anders als die Einbürgerung, für Drittstaatsangehörige in der Regel eine Niederlassungserlaubnis (§ 9 Aufenthaltsgesetz) voraus, die neben einem fünfjährigen Aufenthalt eine Reihe weiterer Voraussetzungen enthält. Bei der Einbürgerung genügt hingegen eine befristete Aufenthaltserlaubnis, sofern sie für einen Aufenthaltszweck erteilt worden ist, der grundsätzlich in einen Daueraufenthalt münden kann (siehe § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG), wie zum Beispiel eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung (§ 18 AufenthG). Diese Regelung sollte als erster Schritt auf das Ius soli übertragen werden, damit in Zukunft gewährleistet ist, dass möglichst alle Kinder, die absehbar in Deutschland aufwachsen, von Anfang an staatsangehörigkeitsrechtlich integriert sind.

Verschärfungen bei der Sicherung des Lebensunterhalts unsozial und undemokratisch

Die Verschärfungen bei der Lebensunterhaltssicherung als Einbürgerungsvoraussetzung gehen in die völlig falsche Richtung. Die Einbürgerung als Voraussetzung der demokratischen Teilhabe darf nicht vom Einkommen abhängen.[8] Das Einbürgerungsrecht ist auch kein geeignetes Instrumentarium, um Anreize für die Integration in den Arbeitsmarkt zu setzen.

Nach geltendem Recht steht ein Bezug von bestimmten Sozialleistungen („Bürgergeld“, früher „Hartz IV“ und Grundsicherung im Alter) nur dann einer Einbürgerung entgegen, wenn dieser Leistungsbezug „zu vertreten“ ist, also z.B.  nicht wegen Arbeitslosigkeit aus konjunkturellen Gründen. Demgegenüber soll diese Regelung nach dem neuen Entwurf nur noch bei ehemaligen Gastarbeiter*innen und Vertragsarbeitnehmer*innen der. DDR gelten. Daneben sieht der Entwurf nur noch zwei weitere Ausnahmen vor: Personen, die in den letzten 24 Monaten 20 Monate vollzeitbeschäftigt waren, sowie Ehegatt*innen oder eingetragene Lebenspartner*innen einer aus der vorgenannten Gruppe, wenn sie mit einem minderjährigen Kind in familiärer Gemeinschaft leben. Diese Ausnahmen sind viel zu restriktiv und werfen sowohl verfassungsrechtlich als auch völkerrechtlich eine Reihe von gleichheitsrechtlichen Fragen auf: Was ist mit Rentner*innen, die nicht als Gastarbeiter*innen oder Vertragsarbeitnehmer*innen nach Deutschland gekommen sind? Was ist mit Alleinerziehenden, mit Paaren, die sich die Kinderbetreuung gleichberechtigt aufteilen, mit pflegenden Angehörigen oder mit Menschen mit Behinderung? Hier liegt dem Entwurf offenbar auch ein patriarchales Familienbild zu Grunde, das im Spannungsverhältnis zu der im Entwurf an anderer Stelle betonten Gleichberechtigung von Mann und Frau steht (s. unten).[9]

Da die Sicherung des Lebensunterhalts regelmäßig schon bei der Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltstitel geprüft wird (s. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG), sprechen gute Gründe dafür, bei der Einbürgerung keine Einkommensgrenzen zu verlangen. Unter anderem in Frankreich, Spanien, Belgien, Kanada oder den USA wird eine Einbürgerung schon jetzt nicht vom Einkommen abhängig gemacht.[10]

Jedenfalls sprechen im Hinblick auf das Ziel der Reform gute Gründe für eine Vereinfachung der bisherigen Praxis, die in den letzten Jahren sehr strenge Maßstäbe mit aufwändigen Prüfungen (Prognose der Lebensunterhaltssicherung) entwickelt hat.[11] Das dürfte auch ein Grund für die verlängerten Wartezeiten auf die Einbürgerung sein, die sich, wenn die Reform greift, noch steigern könnten.[12] Hier besteht Bedarf für Bürokratieabbau und nicht für (weitere) komplizierte Prüfungen der Einkommensverhältnisse durch Einbürgerungsbehörden.

Kriterien für Einbürgerung müssen klarer benannt werden

Im Koalitionsvertrag ist angekündigt worden, dass die seit 2019 bei allen Einbürgerungen geforderte „Gewährleistung der Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ durch klarere Regeln ersetzten werden soll.[13] Dieses Anliegen ist nachdrücklich zu begrüßen. Allerdings fällt die Umsetzung im jetzigen Entwurf problematisch aus. Statt den Einbürgerungsbehörden klare Regeln an die Hand zu geben, sollen diese ohne gesetzgeberische Konkretisierung prüfen, ob Einbürgerungsbewerber*innen durch ihr Verhalten zeigen, dass sie die „im Grundgesetz festgelegte Gleichberechtigung von Mann und Frau“ missachten. Die Bezugnahme auf die im Grundgesetz garantierte Gleichberechtigung von Mann und Frau ist nur auf den ersten Blick unproblematisch. Denn hierbei handelt es sich um eine verfassungsrechtliche Vorgabe für den Gesetzgeber und nicht für das Verhalten der einzelnen Bürger*innen. Der Gesetzgeber ist daher berufen, die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Fragen selbst zu regeln. Das muss auch für das Einbürgerungsverfahren gelten.

Nach dem jetzigen Entwurf würden die Einbürgerungsbehörden aber keine das Grundrecht konkretisierenden Regelungen anwenden, wie etwa die Antidiskriminierungsvorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Vielmehr würde den Einbürgerungsbehörden eine stark wertungsbezogene Prüfung ohne klare Maßgaben überantwortet. Hinzu kommt, dass nach dem Entwurf eine neue bereichsspezifische Definition der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aufgenommen werden soll. Diese knüpft nicht wie die eben beschriebene Regelung an „Verhalten“, sondern an „Handlungen“ an, ohne dass die Unterscheidung von „Handlungen“ und „Verhalten“ im Gesetz geklärt ist.

Insgesamt bergen dies Unklarheiten und Wertungsspielräume das Potenzial, dass, wie schon bei der Vorgängerregelung, sich die Anwendung einer solchen Regelung zu einem Kulturvorbehalt für Einbürgerungen entwickeln könnte. Es ist in jedem Fall zu befürchten, dass bei einer solchen Formulierung besonders muslimisch eingeordnete Einbürgerungsbewerber*innen einer besonders kritischen Überprüfung und Befragung unterzogen werden könnten. Eine solcherart diskriminierungsanfällige Regelung sollte, auch weil sie erhebliche abschreckende Effekte haben könnte, unbedingt vermieden werden. Statt die Einbürgerungsbehörden eher vage Wertebestimmungen prüfen zu lassen, sollte nur Verhalten, das auch für deutsche Staatsangehörige gesetzlich untersagt ist, einer Einbürgerung entgegenstehen. Es darf kein Sonderrecht für Einzubürgernde geben. Insofern könnte etwa an nachhaltige Verstöße gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz angeknüpft werden.

Einführung einer Altersgrenze für die Prüfung von Deutsch- und staatsbürgerlichen Kenntnissen

Die vorgesehene Ausnahme für die Prüfung von Deutsch- und staatsbürgerlichen Kenntnissen ist ein Schritt in die richtige Richtung, der aber viel zu zaghaft ausfällt. Nach der bisher vorgesehenen Regelung wären nur (noch) ehemalige Gastarbeiter*innen und Vertragsarbeiter*innen aus der DDR von der Prüfung schriftlicher Deutschkenntnisse und vom Ablegen eines Einbürgerungstests befreit. Gefordert würden weiterhin auch von diesem Personenkreis mündliche Deutschkenntnisse. Diese Regelung würde schon hinter die Praxis einiger Bundesländer zurückfallen, die bei Personen ab 65 Jahren regelmäßig aufgrund der Nutzung einer Ausnahmeregelung weder schriftliche noch mündliche Deutschkenntnisse verlangen und auch keinen Einbürgerungstest.

Ohnehin wäre eine generelle Altersgrenze einfacher zu handhaben als die jetzt vorgeschlagene Ausnahme, die zudem gleichheitsrechtliche Probleme aufwirft (warum gilt die Ausnahme für ehem. Gastarbeiter*innen aber z.B. nicht für die später nachgezogenen Ehegatt*innen? etc.). Im Hinblick darauf, dass gerade für ältere Personen formale Prüfungen einen abschreckenden Effekt haben können, aber gleichwohl ein Interesse daran besteht, dass Menschen, die voraussichtlich ihren Lebensabend in Deutschland verbringen, hier nicht dauerhaft von staatsbürgerschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen sind, empfiehlt es sich, sich an der kanadischen Rechtslage zu orientieren. Kanada verlangt bei Einbürgerungen von Personen ab 55 Jahren weder schriftliche noch mündliche Englisch- oder Französischkenntnisse und verzichtet bei dieser Altersgruppe auch auf den sonst obligatorischen Einbürgerungstest.

Neue Sicherheitsregelung könnte zu mehr Bürokratie ohne erkennbaren Mehrwert führen

Der Entwurf sieht ein neues, höchst bürokratisches Verfahren bei sogenannten Bagatellstrafen (Geldstrafe bis zu 90 Tagessätze) vor, ohne dass ersichtlich wäre, dass dieses Verfahren in der Praxis erforderlich wäre. Im Jahr 2021 wurde eine Regelung ins Staatsangehörigkeitsgesetz aufgenommen, wonach Bagatellstrafen, die sonst unbeachtlich sind, einer Einbürgerung entgegenstehen, wenn das Gericht antisemitische, rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe nach § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB festgestellt hat.

Damit die Einbürgerungsbehörden Kenntnis von solchen Urteilen erlangen, sieht der Entwurf vor, dass die Einbürgerungsbehörden bei einem Katalog von fast 30 Straftatbeständen (u.a. Nötigung, Sachbeschädigung und Beleidigung) bei Meldung einer Bagatellstrafe die Staatsanwaltschaften auffordern müssen, die Urteile nochmal daraufhin zu durchforsten, ob dort entsprechende Beweggründe festgestellt wurden. Bisher sind allerdings so gut wie keine Urteile bekannt, bei denen entsprechende Beweggründe festgestellt worden sind, obwohl die erste Fassung dieser Vorschrift bereits 2015 ins Strafgesetzbuch aufgenommen worden ist und 2021 erweitert wurde. Es ist ohnehin äußerst fraglich, ob es bei Feststellung entsprechender Beweggründe überhaupt jemals lediglich einer Bagatellstrafe kommen würde. Bevor das Einbürgerungsverfahren mit einem solchen bürokratischen Mehraufwand, der Einbürgerungsverfahren weiter verzögern könnte, belastet wird, sollte eine Evaluierung der entsprechenden Regelungen im Strafgesetzbuch erfolgen und auf dieser Grundlage entschieden werden, ob es für die jetzt vorgesehene Regelung empirisch überhaupt einen Bedarf gibt.

Einbürgerungsregelungen für Staatenlose ins Staatsangehörigkeitsgesetz aufnehmen

Die Zahl der Staatenlosen hat in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht.[14] Diese auch menschenrechtlich äußerst problematische Situation muss dringend mehr Aufmerksamkeit auch von Seiten des Gesetzgebers erfahren.[15] Der jetzige Entwurf enthält hierzu allerdings nichts. Als erster Schritt sollte der Einbürgerungstatbestand aus dem Ausführungsgesetz zu dem Übereinkommen vom 30. August 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit und zu dem Übereinkommen vom 13. September 1973 zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit (BGBl. I 1977 1101) in das Staatsangehörigkeitsgesetz aufgenommen werden, denn diese Einbürgerungsmöglichkeit ist in der Praxis nicht überall bekannt. In weiteren Schritten müsste überprüft werden, wie ein spezielles gesetzliches Verfahren zur Klärung von Staatenlosigkeit eingeführt werden könnte und wie die bisherigen Einbürgerungsregelungen für diesen Personenkreis ggf. angepasst werden müssen, damit Staatenlosigkeit in Deutschland effektiv bekämpft werden kann.

 

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Der Rat für Migration ist ein bundesweiter Zusammenschluss von über 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen. Er begleitet kritisch öffentliche Debatten zu Migration, Integration und Asyl.

 

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Prof. Dr. Tarik Tabbara
Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
Telefon: 03030877-2894
Mail: Tabbara@hwr-berlin.de

Prof. Dr. Vassilis Tsianos
Fachhochschule Kiel
Telefon: 0431 2103088
Mail: vassilis.tsianos@fh-kiel.de

Quellenangaben

[1] Vgl. Destatis, Einbürgerungen und ausgeschöpftes Einbürgerungspotential bezogen auf in Deutschland seit mindestens zehn Jahren lebende ausländische Bevölkerung , Stand: 30.5.2023, abrufbar: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/Tabellen/einbuergerungen-einbuergerungsquote-lr.html.

[2] Tarik Tabbara, Die “Staatsangehörigkeitsreform 2000” in der Migrationsgesellschaft, Ein Blick zurück und nach vorn – Thesen, in: Im Dialog, 4|2021, S. 115-129, abrufbar: https://imdialog.akademie-rs.de/ojs/index.php/idadrs/article/view/737/672

[3] Übersicht bei Global Dual Citizenship Database, Charting dual citizenship acceptance around the world, 1960-2020, Maastricht Centre for Citizenship, Migration and Development, abrufbar: https://macimide.maastrichtuniversity.nl/dual-cit-database/.

[4] Destatis, Einbürgerungen 2022 nach dem Land der fortbestehenden und nicht fortbestehenden bisherigen Staatsbürgerschaft, Stand: 30.5.2023, abrufbar: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/Tabellen/einbuergerungen-staatsangehoerigkeit-doppelstaatler.html

[5] Dietrich Thränhardt, Einbürgerung im Einwanderungsland, FES 2017, S. 17 ff.; Daniel Naujoks, Klassische Einwände und mögliche Gegenargumente, 2009, abrufbar: https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/57278/klassische-einwaende-und-moegliche-gegenargumente/

[6] neue deutsche organisationen – das postmigrantische netzwerk e.V (Hg.), Staatsangehörigkeit Reloaded. Kritische Perspektiven auf Staatsangehörigkeit in der postmigrantischen Gesellschaft, 2023, abrufbar: https://neuedeutsche.org/fileadmin/user_upload/PDFs/ndo_Dossier_Staatsangehoerigkeit_2023.pdf; Naika Foroutan, Die Postmigrantische Gesellschaft, 2021.

[7] Esther Weizsäcker, Mehrfache Staatsangehörigkeit ermöglichen: Vorschläge zur Umsetzung des Handlungsauftrags im Koalitionsvertrag. In: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik (ZAR), 2022, S. 389–394.

[8] Tarik Tabbara, Progressive Reform mit regressiven Untertönen: Der Gesetzentwurf zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts, VerfBlog, 2023/5/23, https://verfassungsblog.de/progressive-reform-mit-regressiven-untertonen/.

[9] Johannes Thierer, Deutschlands goldener Pass?: Zur geplanten Verschärfung der ökonomischen Voraussetzungen für die Einbürgerung, VerfBlog, 2023/5/27, https://verfassungsblog.de/deutschlands-goldener-pass/.

[10] Siehe Eintrag zu „A0f6 Residence based acquisition – economic resources condition“ in Vink, Maarten, Luuk van der Baaren, Rainer Bauböck, Jelena Džankić, Iseult Honohan and Bronwen Manby (2023). GLOBALCIT Citizenship Law Dataset, v2.0, Country-Year-Mode Data (Acquisition). Global Citizenship Observatory, https://cadmus.eui.eu/handle/1814/73190.

[11] Rainer M. Hofmann/Thomas Oberhäuser, Einbürgerungsanspruch und die Sicherung des Lebensunterhalts: Gesetzgeberische Festlegungen vs. behördliche / gerichtliche Umdeutungen, in: Markus Krajewski/Matthias Reuß/ Tarik Tabbara (Hg.), Gesellschaftliche Herausforderungen des Rechts. Eigentum – Migration – Frieden und Solidarität, Gedächtnisschrift für Helmut Rittstieg, Baden-Baden 2015, S. 145–162, 148 ff.

[12] Mediendienst Integration, Mehr Einbürgerungen, noch mehr Anträge, 30.3.2023, abrufbar unter: https://mediendienst-integration.de/artikel/mehr-einbuergerungen-noch-mehr-antraege.html

[13] Ausführlich zu dieser Einbürgerungsvoraussetzung Tarik Tabbara, Zur Gewährleistung der Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse als Einbürgerungsvoraussetzung, Die Öffentliche Verwaltung (DÖV) 2023, S. 185-195.

[14] Statistisches Bundesamt, 29 455 Personen mit anerkannter Staatenlosigkeit zum Jahresende 2022, Pressemitteilung Nr. 091 vom 9. März 2023, abrufbar: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/03/PD23_091_125.html#:~:text=WIESBADEN%20–%20Zum%20Jahresende%202022%20waren,Personen%20damit%20ihren%20bisherigen%20Höchststand.

[15] Müller, Maximilian 2023: Ein Leben ohne Pass. Die Situation staatenloser Menschen in Deutschland. SVR-Policy Brief 2023-1, Berlin, https://www.svr-migration.de/publikation/staatenlosigkeit-in-deutschland/