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Kommentar von Prof. Dr. Paul Mecheril

Initialbeitrag der RfM-Debatte 2021: „Rassismus als Praxis der langen Dauer. Welche Rassismusforschung braucht Deutschland – und wozu“ von Maria Alexopoulou, TU Berlin

Begehren, Familienähnlichkeiten, postpositivistische Analyse – von Rassismusforschung zu rassismuskritischer Forschung

Prof. Dr. Paul Mecheril (Universität Bielefeld)

Letzte Aktualisierung: 11.11.2021

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Vielen Dank, Maria Alexopoulou, für Deinen wunderbaren Eröffnungsbeitrag; ich versuche mich an, vor allem aber mit ihm.

  1. Begehren

Wissenschaftliche Praktiken des Erkennens (also: Darstellung eines Phänomens, seine analytische Explikation und seine politisch-historische Kontextualisierung) können lebensweltlich und politisch bedeutsame Akte sowohl der Herabsetzung, der Miss- und Verachtung als auch der Anerkennung und des Respektierens darstellen. Vielleicht zeigt sich diese Eigenschaft in dem, was Rassismusforschung genannt wird, in besonders deutlicher und klarer Weise

Das „Sprechen“ und „Nicht-Sprechen“ der Wissenschaft stellt (auch) eine Praxis der An-Erkennung/Missachtung von existenziellen Erfahrungen und den diese Erfahrungen vermittelnden Strukturen dar.

Jede, die rassistisch in bestimmter Weise diskreditierbar ist und das betreibt, was Rassismusforschung genannt wird, wird dies wohl wissen. Rassistisch weniger und anders diskreditierbare Personen vielleicht auch, aber anders. Da trennt und verbindet uns wissenschaftlich Forschende etwas. Und dieses etwas ist Gegenstand unseres epistemischen Begehrens, Interesses und unserer wissenschaftskommunikativen Akte, die insofern auch von diesem Begehren vermittelt sind.

Und neben dem epistemischen Begehren ist in der Rassismusforschung vielleicht nicht in besonderer Weise, aber in besonders klar erkennbarer Weise auch ein politisches und wohl auch ein existenzielles Begehren (das Begehren zu existieren; das Begehren, das mich existieren lässt) zu Hause.

Meine Habilitationsschrift (lang ist es her) hat mich damit enden lassen:

das was / ich nie war / habe ich verloren / noch ehe ich seltsam / das Vermögen erwarb /den Verlust zu beklagen

Rassismusforschung ist mir nicht in erster Linie, aber auch immer ein Medium gewesen, den Verlust von etwas politisch zu bekennen, das ich nie besessen habe. Eine durch und durch melancholische Praxis der Klage.

„Die Explosion wird nicht heute stattfinden. Es ist zu früh … oder zu spät“[1]

Das verbindet und trennt, wie Maria Alexopoulou in ihrem wichtigen Initialbeitrag zur RfM-Debatte so klar herausstellt. Die Reflexion einer zu schroff geratenen Abgrenzung als Narzissmus des kleinen Unterschieds (S. Freud) beispielsweise macht mir klar, wie wenig ich als Wissenschaftler zu der Körperenthobenheit und Leibferne imstande bin, die ich als Anspruch anderer an mich imaginiere. Und mich tröstet ein wenig, wenn ich bei Maria lese, dass das Phantasma der Körperkontrolle qua Vernunft Bestandteil einer der in Familienähnlichkeit verbundenen Spielarten des Rassismus ist.

Ich will in meinem kurzen Anschluss an Marias Text, eher eine Resonanz als ein Kommentar, drei Punkte machen. Der erste hat die Form einer Frage: Was begehre ich, wenn ich Rassismusforschung mache? (Für wen setze ich mich ein? Was will ich rehabilitieren, was bekunden? Wovon will ich Zeugnis ablegen? Welche Erkenntnisressource ist meine Wut, meine Verzweiflung, welche meine Scham? Welche Dimensionen meiner Geschichte(n) bearbeite ich? Welche bearbeiten mich?)

Die durch diese und weitere Fragen möglich werdende Reflexion verstehe ich als eine, die für jede Form von (nicht zuletzt: Gesellschafts-)Wissenschaft bedeutsam ist, um den meines Erachtens konstitutiv sublimierenden Charakter wissenschaftlicher Praxis epistemisch produktiv werden zu lassen. Ich habe mich also mit den Motiven, den Impulsen zu beschäftigen, die meinen Eifer, mein Interesse, meine Lust, Rassismusforschung zu betreiben, energetisieren.

Das Aufenthalts- und Arbeitsrechtregime der BRD, deren Bestandteil wir waren, hatte unsere Familie in den späten 1970ern nach Minden in Westfalen geführt, das damit für etwa vier Jahre der Ort meiner adoleszenten Entpuppung werden sollte. Wir fingen als 14-, 15jährige an, Partys zu machen, die damals und dort Feten (ohne accent) hießen, und auf einer dieser Feten tauchte ein englischer Soldat auf, einer von jenen, die zum Stadtbild gehörten und als solche einen Ruf genossen, und wir Jungs umlagerten ihn sogleich, der älter und englischsprachiger, somit respektabler war als wir, und suchten laut und erkennbar eine Verbindung zu ihm und fanden sie erkennbar. Ich machte es allen gleich und war froh und darin überheblich, dass mein 14jähriges Schulenglisch ausreichte, einige Sätze mit ihm, dem deutlich älteren und hegemonial männlicheren, sofern mutmaßlich begehrten, zu wechseln, in denen er zunächst sich erkundigte, um dann in einer Selbstgefälligkeit, deren Aggressivität ich spürte, aber nicht einzuordnen wusste, lachend, laut lachend zu konstatieren: „So, you are a Paki“. Und ich lachte unkundig, aber etwas ahnend mit (Yes, I am), und je unheimlicher mir das, was ich in diesen wenigen Momenten ahnte, wurde, desto lauter lachte ich und zerlachte ich mich in seinem Lachen. Yes, I am. Wie beschämend. Wie erbärmlich ich war und immer schon gewesen bin. Ich schäme mich meiner selbst.

Es kann mir als Wissenschaftler nicht darum gehen, diese Erfahrungen und die aus ihnen stammenden Beweggründe und Impulse hinter mich zu bringen. Freilich geht es darum, die wissenschaftliche Praxis der Erkenntnisgenerierung nicht zu korrumpieren, indem bestimmte Seiten dieser Motive vorrangig werden: a) das der Weltveränderung und b) das der Selbstveränderung.

Beide Motive haben meines Erachtens ihre Wirkungen im Prozess der wissenschaftlichen Generierung von empirischem, methodologischem und begrifflichem Wissen und zwar, wenn auch in unterschiedlicher Weise, auf den wissenschaftstheoretisch unterscheidbaren Ebenen des Entdeckungs- Begründungs- und Verwertungszusammenhangs von Forschung. Das kann zwar geleugnet werden, ist aber, insofern Wissenschaft eine soziale und damit gesellschaftlich situierte, auch vom Habitus und Ängsten, Wünschen und Geheimnissen der Wissenschaftlerinnen getragene Praxis ist, unvermeidbar und sollte mithin reflexiv eingeholt werden. Ob diese Reflexion einen guten Platz in der sogenannten Rassismusforschung finden wird, jetzt, da mit der Untersuchung von Rassismus Kapital (Forschungsförderung und akademische wie öffentliche Aufmerksamkeit) akkumulierbar ist? Womöglich wirkt die Kapitalisierung der Rassismusforschung auf die Verringerung ihres Sublimierungspotenzials. Damit entkäme ein Stück Wirklichkeit. Ich fände das bedauerlich.

  1. Familienähnlichkeiten

Apropos Kapital. Die jüngste politische Entdeckung der Untersuchungswürdigkeit rassistischer Verhältnisse, so begrüßenswert diese dem Prinzip nach ist, sollte auf ihre Effekte betrachtet werden – auch für die Rassismusforschung. Den politischen Akteuren geht es nicht zuletzt um Forschung, die Rassismus eindeutig identifiziert (und womöglich von dem, was manche „ethnische Diskriminierung“ nennen, unterscheidet) und, im entsprechenden Sprachduktus, Wege ihrer Bekämpfung, wenn möglich ihrer Beseitigung aufzeigt. Gegen das endgültige Ende des Rassismus ist wenig einzuwenden (wenn es denn nur so einfach wäre). Wenn indessen die politisch-praktischen Interessen zum maßgeblichen Orientierungsrahmen wissenschaftlicher Unternehmungen werden, dann droht nicht nur Eigenständigkeits-, sondern Eigensinnigkeitsverlust. Und die Eigensinnigkeit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit rassistischen Praktiken und Strukturen entfaltet sich vorrangig dann, wenn die Darstellung, Beschreibung oder Modellierung empirischer Phänomene mit ihrer politisch-historischen Kontextualisierung und Begriffsarbeit verbunden wird. Etwas mehr Begriffsarbeit also wünsche ich der Rassismusforschung der Zukunft.

Rassismus ist in meinem Verständnis ein Wort, das auf ein familienähnliches[2] und (da ebenso Unterschiede für Familien kennzeichnend sind) familientypisch familienunterschiedliches Bündel von Praktiken, die im Kern um Vorstellungen der Existenz von „Rassen“ herum organisiert sind und tendenziell oder potenziell auf Praktiken dehumanisierender Humandifferenzierung verweisen. Vielleicht ließe sich hier auch von einem Idealtypus oder einer idealtypischen Grundform des Rassismus sprechen, als deren analytische Kennzeichen nicht zuletzt angegeben werden können:

a) eine aus Institutionalisierung resultierende und entsprechende Institutionalisierung stärkende, epistemische Praxis, die Erscheinungsbilder phänotypisierend unterscheidet,

b) eine strukturierte und strukturierende Praxis, die diese Merkmale mit natio-ethno-kulturell kodierter Zugehörigkeit und Identität sowie natio-ethno-kulturell kodiertem Territorium assoziiert,

c) und auf diese Weise in essentialisierend-naturalisierender Weise Identitäten bestimmt,

d) eine Imaginationspraxis, in der das Eigene vom Nicht-Eigenen geschieden und beide Seiten mit unterschiedlichen Werten und Graden der Rationalität und Zurechnungsfähigkeit belegt werden, wodurch das Nicht-Eigene abgewertet und tendenziell dehumanisiert wird,

e) eine Praxis, die schließlich mit Mitteln zum je gesellschaftlichen Wirksamwerden der Unter­schieds­kon­strukti­on einhergeht.

Wenn diese Elemente die Grundform Rassismus kennzeichnen, dann kennzeichnen sie zugleich in unterschiedlicher Weise und Ausprägung Rassismen, also von Rassevorstellungen vermittelte, an diese anschließende und diese bestätigende Formen der gesellschaftlich vorherrschenden Humanunterscheidungen.

Ich verstehe somit, ganz so wie Maria dies in ihrem Papier ausführt, Antisemitismus, antislawische, anti-muslimische, anti-migrantische rassistische Praktiken, Gadjé-Rassismus, kolonialen Rassismus, gegen Schwarze gerichteten Rassismus und weitere Rassismen als solche, die im Sinne von Familienähnlichkeit auf die Grundform Rassismus verweisen und diese variieren. Die Variation empirisch aufzuklären und auf Begriffe zu bringen, zugleich, wie Maria Alexopoulou einleuchtend einfordert, historische und kontemporäre Verflechtungen und Überlagerungen herauszuarbeiten, stellt eine zentrale Aufgabe der Rassismusforschung dar, die immer auch nicht nur rassismustheoretisch grundiert und fundiert zu sein hätte, sondern auch theoretisierend und begriffsbildend angelegt sein sollte.

Die oben angeführten analytischen Elemente der idealtypischen Grundform Rassismus können hierbei heuristisch als Aufmerksamkeitsrichtung Verwendung finden, Gemeinsamkeiten und Unterschiede unterschiedlicher Rassismen zu erkunden, etwa, indem folgenden Fragen nachgegangen wird: Wie sieht das Verhältnis von Institutionalisierung und Praxis rassistischer Unterscheidung wo aus? Wie gestaltet sich die Ausformung epistemisch-ideologisch-diskursiv-affektiv-imaginärer Formen des Eigenen und des Nicht-Eigenen? Welche (kontext-) spezifischen Kriterien und Formen der Humandifferenzierung sind anzutreffen? Welche Werte (Rationalität, Körperenthobenheit, Zuverlässigkeit) sind mit rassistischen Unterscheidungen verknüpft und werden durch diese performativ gesetzt? Welche Formen der Dehumanisierung (Objektivierung, Instrumentalisierung, Vernichtung) werden realisiert? In welchen diachronen und synchronen Kontexten gilt welche rassistische Spielart auf Grund welcher Mittel wie?

Aber das ist zweifellos bei weitem noch kein vollständiges Programm einer Rassismusforschung. Es ginge selbstverständlich auch, wie Maria deutlich macht und wie ihr, soweit ich sehe, in allen bisherigen Kommentaren zugestimmt wird, um die Analyse (der Bedingungen und Konsequenzen) der Formen der Widersetzung und des Widerstandes gegen rassistische Unterscheidungen. Es ginge um die Aufklärung der praktischen Schwäche rassistischer Humandifferenzierung, ihre Widerspruchsstruktur und um die empirische Rekonstruktion von Alternativen zu rassistischen Sozial- und Gesellschaftsformen sowie ihre konzeptionelle Explikation.

Es ginge weiterhin auch um die Aufklärung der zentralen Artikulationen, die die rassistisch grundierten Territorialität-Mensch-Verknüpfungspraktiken eingehen, vor allem die Artikulation mit Nation (rassismusformierender Modus: sakral, beschwörend, schwärmerisch), mit Staat (Modus: bürokratisch, kalt, technologisch) und mit Kapitalismus (Modus: gebrauchend, vergegenständlichend, vernutzend) und die Frage wie Rassismus über diese Artikulationen gestärkt und auch geschwächt wird.

  1. Postpositivistisch

Neulich – die erste Seite der BILD-Zeitung – in schwarzen, großen Lettern: „Weil er gegen Christen ist – Afghane räumt Kirche leer … und zerstört Jesus-Figur.“[3] Ist dies rassistisch? Sind die Macher der Schlagzeile und des „Berichtes“ rassistisch? Ist die BILD-Zeitung insgesamt rassistisch?

Fragen dieser Art (und entsprechende Antworten) sind rassismuskritisch nicht vorrangig von Interesse und Belang. Im Rahmen eines rassismuskritischen Ansatzes geht es nicht darum, Personen, kommunikative Akte oder Organisationen des Rassismus zu überführen. Rassismuskritik und rassismuskritische Forschung ist keine polizeiliche Praxis.

Rassismuskritische Forschung zielt weniger auf den identifikatorischen und identitätslogischen Ausweis von Vorurteilen und Einstellungen bestimmter Personengruppen, sie interessiert sich vielmehr für die Analyse der gesellschaftlich-historischen (Demos), institutionellen (Organisation) und interaktiven (Situation) Kontexte, in denen rassistische und an Rassismen anschließende, aber auch diese bekräftigende und diskret oder indirekt weiterführende Handlungs- und Legitimationspraktiken, Repräsentations- und Visibilisierungspraktiken möglich sind. Rassismuskritische Forschung interessiert sich für die Frage, welchen Einfluss diese Praktiken auf Selbst- und Weltverhältnisse rassistisch diskreditierbarer und weniger diskreditierbarer Menschen haben.

Die nicht nur aktuelle Lage in Afghanistan konfrontiert Europa und nicht zuletzt auch Deutschland mit einem doppelten Legitimationsproblem: Mit der eigenen Verantwortung für die Entwicklung der Situation des Landes, der politischen Mitverantwortung für die massive Gefährdung von Menschen durch Terror, Folter und Hunger sowie mit der menschenrechtlich unabweislichen Verantwortung, ohne eigenes Verschulden in Not geratene Menschen zu unterstützen. „Afghanistan“ konfrontiert Europa mit der, um es freundlich zu formulieren, Widersprüchlichkeit seiner selbst oder damit, dass das als universell ausgegebene Humanum (das Paradies auf Erden; siehe unten) konkret uns vorbehalten bleibt und auch bleiben soll. In diesem Rahmen spielt die Praxis der Dämonisierung der imaginierten Anderen (um die BILD-Sprache widerwillig, aber notwendig aufzuführen: der Afghane, der menschenrechtlich verbürgte Ansprüche stellt) eine bedeutsame Rolle. Immer dann, wenn gesellschaftliche Ordnungen, in denen materielle und symbolische Privilegien differentiell zugewiesen sind, in Krisen der Funktionalität und der Legitimität geraten, ist die affektive Dämonisierung der in der jeweiligen Ordnung als Andere Geltenden ein probates Mittel, die Ordnung zu stärken.

Drei idealtypische Momente des Affekts können hierbei unterschieden werden[4]:

a) mit der Angst (ihre Bedrohlichkeit) vor und der Wut (ihre Unverschämtheit) auf die Anderen wird es möglich, berechtigte, zumindest unbequeme, nicht notwendig explizit formulierte, aber »im Raum stehende« Ansprüche Anderer zurückzuweisen,

b) mit der Angst vor und mit der Wut auf die Anderen wird es möglich, die historische, politische, ökonomische Verantwortung Europas für die globalen Verhältnisse, für die Europäerinnen und Europäer historisch Mitverantwortung tragen und von denen sie nicht zuletzt (relativ) profitieren und die zu Flucht und Wanderungsbewegungen beitragen, nicht zu thematisieren und zu verschweigen,

c) mit der Angst vor und mit der Wut auf die Anderen wird es möglich, das sakral-positive Selbstimago Europas zu bewahren und zu erneuern (rassistische Schemata verweisen auf die religiöse Dimension von Zugehörigkeitsverhältnissen und imagined communities (Anderson); vielleicht wissen auch die BILD-Macher darum, zumindest im Sinne eines knowing how).

Ich spreche lieber von rassismuskritischer Forschung als von Rassismusforschung, weil der Ausdruck/Diskurs „Rassismusforschung“ dazu neigt, Rassismus allein oder vornehmlich als positive Entität (die es zu negieren gilt) zu behandeln. Dies wird aber der zuweilen spitzfindigen Subtilität, in der rassistischer Denk-, Handlungs- und Fühlweisen wirken, ihrer Finesse nicht immer gerecht.

Diese Finesse zeigt sich etwa in dem, was, worauf auch Maria Alexopolou verweist, Rassismuserfahrungen ausmacht, also Erfahrungen von An­griff oder von Gering­schät­zung der eigenen Person oder nahe­ste­hen­der Perso­nen durch konkrete, generalisierte und institutionalisierte Andere, die Merkmale wie Haarfarbe, Haut­far­be, Kleidung und Sprache vor dem Hintergrund von Ab­stammungs- oder Herkunfts­konstruktionen und diese bestätigend zu Distinktionen verwenden, die (tendenziell und potenziell) dehumanisierend sind. Nicht jeder (etwa sprachlichen) Rassismuserfahrung muss dabei aber ein expliziter rassistischer Sprechakt zugrunde liegen. Das entkommt allzu positivistischer Rassismusforschung. Wenn eine am Morgen aufwacht und beschämt, beschmutzt und einer Sprache beraubt sich an den nächtlichen Traum erinnert, in dem sie auf einer Party die einzige Schwarze unter ansonsten weißen Gästen war, die sie nicht nur distanziert, sondern abfällig und zugleich sexuell exotisierend betrachten, in einer Weise, die sie nicht nur nicht abwehren konnte, sondern dessen Muster sie durch ihr (Nicht-)Tun bestätigte und wenn sie eine schwarze Frau ist und in einem weiß und heterosexistisch dominierten gesellschaftlichen Kontext in Deutschland lebt, dann verweisen der Traum und die Erinnerungsspuren, die dieser wie andere Träume und Erfahrungen hinterlassen, auf rassistische Gegebenheiten. Denn der Traum wird nur verständlich, wenn wir ihn auf den historisch-gesellschaftlichen Kontext beziehen, aus dem der Traum resultiert und in dem er zu einer Erfahrung wird, die in den Körper einsickert und eine Spur hinterlässt. Rassismuserfahrungen verweisen auf die Geschichte rassistisch grundierter Schemata der Unterscheidung von Menschen – mit dem Effekt der Differenzierung zwischen denen, die fraglos dazugehören und denen, deren Zugehörigkeitsstatus bestenfalls prekär ist, worin sie verfügbar wie verwendbar und in dieser Praxis und Phantasie der Verfügbarkeit auch zu einem Objekt des Begehrens werden. Ohne den kritischen Bezug auf die Geschichte rassistisch grundierter Unterscheidungsschemata, so verstehe ich eines der zentralen Argumente des Beitrags von Maria Alexopoulou,  entkommen Sinn und Bedeutung rassistischer Wirklichkeiten der Gegenwart wie Sinn und Bedeutung auch gegenwärtiger Erfahrungen.   

In diesem Sinne ist rassismuskritische Forschung erstens eine non-polizeilich Untersuchung der Praktiken, Orte und Strukturen, die von Rassekonstruktionen vermittelt sind und diese stärken, der historischen Bedingungen und dis-kontinuierlichen Entwicklungen dieser Praktiken, Orte und Strukturen. Sie ist zweitens interessiert an der Untersuchung der Praktiken, die diese legitimieren, etwa der Praktiken der Universalisierung des Partikularen, der Naturalisierung des Kulturellen, der Vernotwendigung des Kontingenten, der Normativierung des Empirischen oder der Essentialisierung des Relationalen. Und drittens zielt rassismuskritische Forschung auf die Untersuchung der Strukturen, der Praktiken und der Orte, an denen die Schwäche natio-ethno-kulturell kodierter Dominanzverhältnisse sichtbar wird und Alternativen, Formen der Kritik und des Widerstands möglich werden. Sie zielt also auch auf Explikation und Analyse der Strukturen, der Praktiken und der Orte, in und an denen Akteurinnen nicht dermaßen, auf essentialisierende, natio-ethno-kulturell kodierte Deutungsschemata angewiesen sind.

Rassistisch grundierte Praktiken und Strukturen wirken gerade in programmatisch und rhetorisch antirassistischen Kontexten vor allem subtil und indirekt, konjunkturell und untergründig, zunächst unmerklich und kumulativ, verschlagen, affektiv und im Schutz der charmanten Maske der Freundlichkeit, der Unterstützung und des Interesses. Gerade darin entfalten Sie eine eigentümliche, zerstörerische Kraft. Wo das, was Rassismusforschung genannt wird, seinen Ausgang in einem bloß positivistischen Verständnis von Rassismus nimmt und auf diesem beharrt, werden diese Spielarten nicht nur ausgeblendet, sondern ist Rassismusforschung gefährdet, Teil der Bewahrung rassistischer Verhältnisse zu sein.

 

Fußnoten

[1] Frantz Fanon, Schwarze Haut, weiße Masken. Wien, Turia+Kant, 2013, S. 7

[2] Im Abschnitt 67 der Philosophischen Untersuchungen Ludwig Wittgensteins heißt es zum Bild der `Familienähnlichkeit‘: „Und ebenso bilden z.B. die Zahlenarten eine Familie. Warum nennen wir etwas `Zahl‘? Nun, etwa, weil es eine – direkte – Verwandtschaft mit manchem hat, was man bisher Zahl genannt hat; und dadurch, kann man sagen, erhält es eine indirekte Verwandtschaft zu anderem, was wir auch so nennen. Und wir dehnen unseren Begriff der Zahl aus, wie wir beim Spinnen eines Fadens Faser an Faser drehen. Und die Stärke des Fadens liegt nicht darin, dass irgend eine Faser durch seine ganze Länge läuft, sondern darin, dass viele Fasern einander übergreifen.

Wenn aber Einer sagen wollte: `Also ist allen diesen Gebilden etwas gemeinsam, – nämlich die Disjunktion aller dieser Gemeinsamkeiten‘ – so würde ich antworten: hier spielst du nur mit einem Wort. Ebenso könnte man sagen: es läuft ein Etwas durch den ganzen Faden, – nämlich das lückenlose Übergreifen dieser Fasern.“ (Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1977, S. 57f)

[3] Schlagzeile auf der ersten Seite der BILD am 1. Nov. 2021 mit Verweis darauf, dass es auf S. 4 weitergehe.

[4] Diese Heuristik haben wir im Rahmen von Überlegungen zu der Affektlogik der „Kölner Silversternacht“ entwickelt: Paul Mecheril. & Monica van der Hagen Wulff  (2016). Bedroht, angstvoll, wütend. Affektlogik der Migrationsgesellschaft. In: M. Castro Varela & P. Mecheril (Hg.): Die Dämonisierung der Anderen. Rassismuskritik der Gegenwart (S. 119-142). Bielefeld: transcript

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