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Rechtsstaat mit Migrationsgeschichte. Einige kritisch-juristische Überlegungen zu Gleichstellungsdaten und dem Dilemma der Differenz

Kommentar von Dr. Doris Liebscher, Juristin, Berlin

– Einreichung am 29. Oktober 2022

Mit dem Initialbeitrag „Anstelle des Migrationshintergrunds – Eingewanderte erfassen“ hat Anne-Kathrin Will einen anregenden Impuls zu Alternativen zur Kategorie Migrationshintergrund angestoßen. In diesem Text sowie den darauf antwortenden Beiträgen wurden implizit auch Probleme im Zusammenhang mit der Erfassung von Vielfalt in der Migrationsgesellschaft analysiert, die sich in der derzeitigen Rechtslage abbilden. Mein Beitrag möchte die Debatte um einige rechtliche Überlegungen ergänzen.

 

Rechtliche Grundlage und wissenschaftliche Problematisierung

Das Mikrozensusgesetz (MZG) regelt die Erhebung und Kategorisierung personengebundener Eigenschaften zu „Staatsangehörigkeit und Migrationshintergrund“[1] als ethnisch abstammungsbasiert und verbunden mit einer Auskunftspflicht in § 13 MZG unabhängig von der Selbstidentifikation der Betreffenden.

Gemäß § 6 Mikrozensusgesetz werden „Staatsangehörigkeit und Migrationshintergrund verpflichtend erhoben. Konkret heißt das, für alle befragten Personen Auskunft erteilen über

  • Staat der Geburt;
  • Staat der Geburt der Eltern,
  • Kalenderjahr des Zuzugs nach Deutschland,
  • bei Abwesenheit von mehr als zwölf Monaten das Kalenderjahr des erneuten Zuzugs nach Deutschland,
  • Staatsangehörigkeiten,
  • Art des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit,
  • im Haushalt vorwiegend gesprochene Sprache,

In Deutschland eingebürgerte Personen müssen weiterhin Auskunft erteilen über:

  • ehemalige Staatsangehörigkeit vor der Einbürgerung,
  • Kalenderjahr der Einbürgerung,

Personen, die zugewanderte oder eingebürgerte Eltern haben und nicht mehr im selben Haushalt leben, müssen Angaben zu den die Eltern machen:

  • Kalenderjahr des Erstzuzugs der Eltern nach Deutschland,
  • Ausländereigenschaft der Eltern,
  • Art des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit der Eltern,
     

Die in den veröffentlichten Debattenbeiträgen identifizierten Probleme zu dieser rechtlichen Vorgabe lassen sich unter den Überschriften Zweckerreichung und Nebeneffekte bündeln. Aus ethischer Perspektive wurde zudem die mangelnde Selbstbestimmung und Einbeziehung derer, die von Kategorisierungen betroffen sind, angesprochen (Tereza Hendl/Daniel James).

Entnommen habe ich den Beiträgen weitgehende Einigkeit: Der „Migrationshintergrund“ ist als statistische Kategorie problematisch. Uneinigkeit besteht jedoch bei den Überlegungen und Vorschlägen, was den analysierten Engführungen und Fallstricken der Kategorie alternativ entgegenzusetzen sei. Lesen konnte ich auch viele offenen Fragen dazu, wie die Erfassung migrationsgesellschaftlicher Diversität im Zusammenspiel mit der gesellschaftlichen Realität unterschiedlicher Rassismen über neue Kategorien bzw. Kategorisierungen zu operationalisieren wäre.

Ich teile beides, die Einigkeit mit Blick auf den unbefriedigenden Status quo und die Unsicherheit bezogen auf die Alternativen. Beisteuern möchte ich einige allgemeine Überlegungen aus rassismuskritisch-juristischer Perspektive sowie einen Blick in das neue Berliner Partizipationsgesetz, dass sich an einem Paradigmenwechsel versucht. Ich danke allen Autor:innen für Ihre wertvollen und für mich lehrreichen Perspektiven und dem Rat für Migration für die Möglichkeit des interdisziplinären Austauschs.

 

Datenerhebung und Verhältnismäßigkeit

Die Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe personenbezogener Daten greift in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, es resultiert aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art 1 Abs. GG 1. Einschränkungen dieses Rechts „sind nur im überwiegenden Allgemeininteresse zulässig“, entschied das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil (BVerfG 1983) und urteilte zugleich, dass diese Anforderung bei „einer Volkszählung, die eine gesicherte Datenbasis für weitere statistische Untersuchungen ebenso wie für den politischen Planungsprozeß durch eine verläßliche Feststellung der Zahl und der Sozialstruktur der Bevölkerung vermitteln soll“ (BVerfG 1983: Rn. 158) erfüllt ist. Erst die Kenntnis der relevanten Daten und die Möglichkeit, die durch sie vermittelten Informationen für die Statistik zu nutzen, schaffe „die für eine am Sozialstaatsprinzip orientierte staatliche Politik unentbehrliche Handlungsgrundlage“ (Rn. 157). Das Recht auf informelle Selbstbestimmung sei durch entsprechende Verfahrens- und Datenschutzbestimmungen zu gewährleisten. Das Gericht erkannte zugleich die „Gefahr sozialer Abstemplung“ (Rn. 160), die es 1983 allerdings nur im Zusammenhang mit Angaben zur Eigenschaft als Gefängnisinsasse interessierte und die im Rahmen der Rezeption des Urteils idR keine Rolle spielt. Diese dem Urteil zugrunde liegende Abwägung von einerseits individuellen Grundfreiheiten, andererseits Allgemeininteressen und schließlich dem mit Kategorisierungen einhergehenden Stigmatisierungsrisiko kann für die hier geführte Debatte jedoch eine hilfreiche Orientierung sein, wenn es gilt, die Zwecke und die Effekte von Datenerhebungen in ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen angemessenes Verhältnis zu setzen.

 

Fachlich geboten? Was sind legitime Zwecke der Erfassung von migrationsbezogenen Daten

Im Streit der Argumente, ob Kategorien wie „Migrationshintergrund/-geschichte“ in ihrer jetzigen oder einer anderen Definition oder ergänzt durch andere Kategorien, wie Rassismuserfahrung oder soziale Herkunft geeignet sind, den oder die mit ihrer Erfassung verfolgten Zweck(e) zu erreichen, müssen zuerst die Zwecke selbst (in den Worten des Bundesverfassungsgerichts die Allgemeininteressen) benannt werden. Dann kann festgestellt werden, ob es sich dabei um legitime Zwecke handelt und ob das jeweilige Mittel (zB die Erfassung bestimmter Daten) geeignet ist, den Zweck zu erfüllen bzw. zumindest zu fördern. Nur dann ist die Erfassung „fachlich geboten“. Schließlich muss abgewogen werden, welche negativen, zB „verausländernden“ (Anne-Kathrin Will) , also Gleichheit verhindernden Effekte, die Erfassung noch mit sich bringt und ob und wie ein schonender Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Zwecken/Interessen/Rechtsgütern hergestellt werden kann.

Die meisten Debattenbeiträge weisen als Zweck aus, die gesellschaftliche Wahrnehmung und Akzeptanz von Deutschland als diverse Migrationsgesellschaft zu stärken und darüber auch konkrete Einwanderungsgruppen sichtbarzumachen und anzuerkennen. Als weiterer Zweck wird angegeben, Benachteiligungen zu identifizieren, um sie abbauen zu können. Beide Ziele, die Sichtbarmachung von Vielfalt und der Abbau von Benachteiligung sind legitime Zwecke, weil sie auf gleiche Teilhabe zielen. Der zweite Zweck ist als Ausfluss des Sozialstaatsprinzips in Art. 20 Abs. 1 GG und des Grundrechts auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung in Art. 3 GG anzuerkennen, wobeiaus letzterem auch ein Gewährleistungs- und Fördergebot des Staates resultiert (Tabbara 2021: 604).[i] Die Ermöglichung gleicher Teilhabe ist daher in besonderem Maße förderwürdig ist. Das ist auch international etabliert: So ist die  – seit den 1990er Jahren auf Selbstaufkunft beruhende – Erfassung von race und ethnicity im U.S. Zensus bereits seit den 1960er Jahren auf die Produktion von Gleichheitsdaten ausgerichtet, die der Überwachung der Durchsetzung der Antidiskriminierungsgesetzgebung dienen.

Einen weiteren Zweck der Datenaggregation führt Barbara John ins Feld: Soziale Kohäsion. Das Monitoring des Zusammenhangs von sozialer Herkunft und sozialer Ungleichheit soll „die gemeinsamen Nöte, Interessen und Verantwortlichkeiten von nicht Eingewanderten und Eingewanderten deutlich sichtbar“ machen, „um den erforderlichen breiten Konsens in der Einwanderungsfrage zu stärken“. Ich bin skeptisch, ob dieser Zweck verfassungsrechtlich überzeugt. Naheliegender scheint es mir, auch in diesem Fall auf die Herstellung von Gleichheit als Ziel der Erfassung und Auswertung von Daten zu sozialer Herkunft abzustellen.

Der von Coşkun Canan und Anja Petschel eingebrachte Zweck, „vielfältige Daten- und Informationsbedarfe der Politik, Wissenschaft, von Interessenverbänden und der breiten Öffentlichkeit zu den sozialen Lebenslagen jener Menschen mit Migrationsbezug abdecken zu können“, erfüllt das Kriterium des legitimen Zwecks dagegen meines Erachtens nicht ohne Weiteres. Er ist, auch im Sinne der Anforderung des Bundesverfassungsgerichts zu unspezifisch und kann auch Daten- und Informationsbedarfe einschließen, die dem Zweck der Gleichheit entgegenstehen. Zu denken ist hier an die mittlerweile weitgehende abgeschaffte Erfassung des Migrationshintergrundes in polizeilichen Datenbanken und Kriminalstatistiken und die damit im Zusammenhang stehende Kritik an der Übermittlung solcher Daten an die Medien.

 

Mehr als nur Nebeneffekte: Reifizierung von Differenz und Familiarisierung sozialer Ungleichheit

Damit sind bereits problematische Effekte der Erfassung und der diskursiven Wirkung von migrationsbezogenen Kategorien angesprochen. Schließlich ist Statistik nie neutral und sie trägt – nicht nur ein Deutschland – die Geschichte des Rassismus im Gepäck. Dies zeigt sich ganz besonders an der bevölkerungsstatistischen Sondererfassung von Sinti_zze und Rom_nja, die „nach 1945 bruchlos fortgesetzt wurde“ (Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus 2021: 70) und die auch heute noch – wie nicht nur der Bericht belegt – in Polizeistatistiken, Jobcentern oder Jugendämtern praktiziert wird. Eine Einbindung von Sinti_zze und Rom_nja in alle akademischen, exekutiven oder legislativen Projektgruppen und Überlegungen zur Erfassung von migrationsbezogenen Daten und/oder Gleichstellungsdaten ist vor diesem Hintergrund ethisch unabdingbar. 

In den veröffentlichten Beiträgen werden mehrere problematische Effekte der Verdatung von Migrationsbiografien angesprochen. Die Bündelung vielfältiger und komplexer Lebenswirklichkeiten und Identitäten unter dem Label Migrationshintergrund homogenisiert die Erfahrungen der Betreffenden und naturalisiert soziale Ungleichheit, sie essentialisiert Identitäten und migrantisiert bzw. „verausländert“ (Anne-Kathrin Will) Menschen. Schließlich schreibt sie den „ontologischen Dualismus“ (Erol Yildiz) fort, der eine „unmarkierte Standardbevölkerung“ (Anne-Kathrin Will unter Verweis auf Mecheril & Teo), die als alteingessesen, also sesshaft, und von autochthoner Abstammung imaginiert wird, dieabgetrennt wird von einer nicht zugehörigen, ethnisch klar abgrenzbaren und zu integrierenden migrantische nBevölkerung. Dieser Dualismus findet sich auch im Integrationsimperativ wieder, auch wenn dieser, darauf hat Erol Yildiz hingewiesen, sich ausdifferenziert hat und heute unterscheidet zwischen integrierten Autochthonen einerseits, routinemäßig integrationsfähigen Einwohner:innen mit Mobilitätshintergrund (umgangssprachlich auch Expats) andererseits und schließlich den mit besonderen Maßnahmen zu integrierenden Menschen mit Migrationshintergrund.

Die damit benannte Spannung zwischen Affirmation und Transformation von Differenzen und Kategorien wird im Recht als Dilemma der Differenz diskutiert, sie betrifft in besonderem Maße gleichheitsorientiertes Recht: In rechtlichen Verfahren, in denen an Kategorien, wie Frau oder Mann, Schwarz oder Weiß angeknüpft wird, besteht immer die Gefahr, rassistische ebenso wie geschlechtsspezifische Kategorisierungen durch deren Abfrage, Benennung und Zuordnung zu reifizieren. Bei Verfahren, die Zugehörigkeiten unabhängig von Selbstidentifikationen als Selbst- oder Fremdzugeschrieben erfassen, sind die beschriebenen Risiken ungleich höher.

Schließlich fragt sich: Wie hängt Benachteiligung mit Diskriminierung zusammen? Werden Benachteiligungen eher als Resultat geringerer „unterschiedlicher Kapitalien“ eingewanderter Vorfahren und deren „sozialer Netzwerke und Communities“ (Coşkun Canan und Anja Petschel) gesehen, liegt die Forderung näher, Migrationsbiografien weiter über mehrere Generationen zu erfassen und Integrationsmaßnahmen zum Nachteilsausgleich zu entwerfen. Dieser Ansatz familiarisiert und individualisiert soziale Ungleichheit stark. Ein stärker rassismuskritischer Ansatz begreift die Benachteiligung stärker oder ausschließlich als Folge von Rassismus und Diskriminierung, also gesellschaftlichen Machtverhältnissen: „Die Einwanderung von Vorfahren ist für sich genommen nicht benachteiligend, sondern nur dann, wenn sie ethnisiert oder rassifiziert ist.“ (Anne-Kathrin Will). Daraus resultiert die Forderung nach Datenerhebungen, die selbst- und fremdzugeschriebene ethnisierte/rassifizierte Identitäten, Rassismusbetroffenheiten, Rassismuserfahrungen, „in Kombination mit Daten zu strukturellem und institutionellem Rassismus“ (Merih Ateş) erfassen. Auch die Mittel, um Gleichheit herzustellen, müssen sich dann nicht nur an die „zu Integrierenden“, sondern an die Gesellschaft als Ganzes richten, eine Perspektive, die ich ausdrücklich unterstütze.

 

Paradigmenwechsel: Migrationsgesellschaft und Migrationsgeschichte im Berliner Partizipations- und Migrationsgesetz

Am 17. Juni 2021 wurde im Berliner Abgeordnetenhaus das Gesetz zur Neuregelung der Partizipation im Land Berlin (PartMigG) verabschiedet. Vorläufer des Gesetzes war das Partizipations- und Integrationsgesetzes (PartIntG) aus dem Jahr 2010. Berlin war damals das erste Bundesland, das ein solches Gesetz verabschiedet hatte. Das neue PartMigG versucht in mehrfacher Hinsicht einen Paradigmenwechsel, der die hier geführte Debatte widerspiegelt. Zunächst verabschiedet es sich vom bisherigen Konzept der Integration. Der Begriff taucht bereits programmatisch nicht mehr im Namen des Gesetzes auf, in § 2 Abs. 2 des Gesetzes steht als Grundsatz: „Die Migrationsgesellschaft setzt die Integrationsfähigkeit aller Teile der Bevölkerung voraus. Das Land Berlin sieht die Förderung dieser gesellschaftlichen Integrationsfähigkeit als Daueraufgabe an“ aus dem dualistischen Integrationsimperativ wird hier eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. In der Gesetzesbegründung wird der Ansatz weiter ausgeführt und mit dem Prinzip der Antidiskriminierung verschränkt: „Das Ziel der Durchsetzung von Partizipation kann nur durch das Zusammenwirken aller Menschen vor Ort gelingen. Voraussetzung ist dabei stets, dass sich alle Akteurinnen und Akteure offen, respektvoll und mit Veränderungsbereitschaft begegnen. Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung in jeder Form haben in Berlin keinen Platz. Ihre Bekämpfung ist notwendige Bedingung, um Gleichstellung zu ermöglichen. Das PartMigG als Fördergesetz versteht sich dabei in Ergänzung zum LADG als Instrument und Mittel zur Aktivierung des Empowerments von Personen mit Migrationsgeschichte in der Migrationsgesellschaft und der Stärkung von Partizipation und Integration.“

§ 3 Abs. 1 des Gesetzes definiert als Zielgruppe Menschen mit Migrationsgeschichte so:

„Als Personen mit Migrationsgeschichte gelten Personen mit Migrationshintergrund, Personen, die rassistisch diskriminiert werden und Personen, denen ein Migrationshintergrund allgemein zugeschrieben wird. Diese Zuschreibung kann insbesondere an phänotypische Merkmale, Sprache, Namen, Herkunft, Nationalität und Religion anknüpfen.“

Begründet wird die erweiterte Definition mit den auch hier vorgebrachten Argumenten: „Die bisherige Bestimmung der Zielgruppe als Personen mit Migrationshintergrund erweist sich als unzulänglich, um die Bandbreite der durch das Gesetz zu fördernden Personen abzudecken (Evaluation des Gesetzes zur Regelung von Partizipation und Integration in Berlin, Abschlussbericht, Februar 2019, S. 12 f.). Zudem werde der Begriff vielfach als stigmatisierend abgelehnt. Schließlich sei der Migrationshintergrund allein ist nicht geeignet, in allen Fällen Aufschluss darüber zu geben, ob jemand Zugangshürden oder Benachteiligungen ausgesetzt ist: „Mit Blick auf die Beseitigung struktureller Nachteile, auf die dieses Gesetz abzielt, ist die Berücksichtigung sozialer Zuschreibungen daher dringend geboten.“ Die erweiterte Definition „Migrationsgeschichte“ ist damit im Ergebnis konkreter und besser geeignet, den gesetzgeberischen Zweck – Durchsetzung der Partizipation in der vielfältigen Migrationsgesellschaft und Abbau rassistischer bzw. migrations- und herkunftsbezogene Teilhabehindernisse und Zugangshürden zu erreichen.

Warum wurde der Migrationshintergrund trotzdem als zentrale Bezugsgröße für alle im Gesetz vorgesehenen konkreten Fördermaßnahmen beibehalten und in § 3 Abs. 2 PartMigG nun wie im Mikrozensus definiert? Begründet wird dies damit, dass die im PartMigG vorgesehenen Maßnahmen zur gezielten Förderung der Beschäftigung von Personen mit Migrationshintergrund im Öffentlichen Dienst „auf der Basis nachvollziehbarer und potentiell überprüfbarer Daten erfolgen sollen“. Es mangelt also schlicht noch an einer alternativen Datenbasis. Der Migrationshintergrund dient damit weiter als statistisch eingeführte, rechtlich im Mikrozensusgesetz verankerteBemessungsgröße der Planungen im Personalbereich sowie des Nachweises der Entwicklung der Zahlen der Beschäftigten. Auch die positiven Maßnahmen zur Erhöhung des Anteils von Menschen mit Migrationsgeschichte, stellen fast ausschließlich auf Migrationshintergrund ab, nur mit Blick auf die Formulierung von Stellenausschreibungen und gezielte Bewerbungsansprache wird „Migrationsgeschichte“ verwendet.

Positionen, die den Migrationshintergrund ganz verabschieden wollten, konnten sich im Gesetzgebungsverfahren leider nicht durchsetzen. Die auch in diesem Forum verbreitete Skepsis, auf eine etablierte statistische Zugehörigkeitskategorie zu verzichten, ohne dass neue Erfassungsmethoden erprobt und verrechtlicht sind, stand dem bislang entgegen. Diese Unsicherheit überwog letztlich die in der Gesetzgebungsbegründung an anderer Stelle deutlich formulierte Kritik an der Unzulänglichkeit der Kategorie „Migrationshintergrund“ mit Blick auf das zu erreichende gesetzgeberische Ziel.

Eine progressive Gesetzgebung der Zukunft ist folglich auf die Etablierung der in diesem Forum diskutierten Alternativen angewiesen. Zugleich birgt die rechtliche Definition von „Migrationsgeschichte“ in § 3 Abs. 1 PartMigG, die erstmals sowohl das Konzept der Fremdzuschreibung als auch die Verknüpfung von Migrationsbezug, Ethnisierung/Rassifizierung und rassistischer Diskriminierung in einem deutschen Rechtstext zusammenbringt, eine Chance, die in diesem Forum angeführten Überlegungen weiter und interdisziplinär voranzubringen.

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[1] Die Autorin leitet die Ombudsstelle für das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz bei der Landesstelle für Gleichbehandlung gegen Diskriminierung (LADS), Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung des Landes Berlin. Die Einschätzungen in diesem Diskussionsbeitrag sind die der Autorin und entsprechen nicht notwendigerweise der Position der LADS.

[2] Tarik Tabbara, Von der Gleichbehandlung der „Rassen“ zum Verbot rassistischer Diskriminierung, in: DER STAAT 60 (2021), 577 –607.