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„Migrationshintergrund“ – Ein breiter gesellschaftlicher Konsens in der Einwanderungsfrage ist unverzichtbar

Kommentar von Prof.‘ Barbara John, Humboldt-Universität Berlin

– Einreichung am 10. Oktober 2022

Mit dem Initialbeitrag „Anstelle des Migrationshintergrunds – Eingewanderte erfassen“ zur RfM-Debatte 2022 hat Anne-Kathrin Will den Anstoß zu einer intensiv geführten Diskussion über die Bedeutung und Verwendung von Migrationshintergrund als Kategorie der statistischen Erfassung und Repräsentation gegeben. Anne-Kathrin Will setzt sich in ihren Ausführungen kritisch mit den Empfehlungen der von der Bundesregierung eingesetzten Fachkommission Integrationsfähigkeit auseinander und bezieht sich dabei auch auf meine im Abschlussbericht abgedruckte abweichende Stellungnahme, mit der ich als Mitglied der Fachkommission zwei Fragenkomplexe angesprochen habe: Zum einen ging es um die Frage, ob der Migrationshintergrund noch zukunftsfähig ist. Sodann ging es mir auch um Fragen der sozialen Kohäsion in der ethnisch und sozial diverser werdenden deutschen Gesellschaft.

Für die laufende Debatte möchte ich noch einmal auf die besondere Relevanz der mit diesen Fragestellungen zum Ausdruck gebrachten Anliegen hinweisen, die im Kern eine Kritik an der unglücklichen und einseitig verzerrenden Verknüpfung von Migrationshintergrund und Ungleichheit ist.

Die Im Mikrozensus erhobenen Daten zum Migrationshintergrund nach Jahrzehnten hoher Einwanderung haben erhebliche soziökonomische Ungleichheiten zwischen der Bevölkerung ohne und mit Migrationshintergrund (MH) gemessen und öffentlich gemacht. Die Erhebungen bezogen sich vor allem auf Benachteiligungen im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt. Die Art der aggregierten Auswertung und Präsentation der Befunde lässt den Eindruck entstehen, dass die Ungleichheiten ausschließlich ein Merkmal bei Migrationsprozessen wären und die Bevölkerungsgruppe ohne MH davon nicht betroffen sei.

Im deutschen Sozial- und Wohlfahrtstaat sind sozioökonomische Ungleichheiten und Ausgrenzungen aber keineswegs nur bei Eingewanderten messbar festzustellen, sondern auch bei Familien und Personen ohne Migrationshintergrund. Ungleichheit ist eine Folge fehlender familiärer Ressourcen und sozialer Netzwerke, die als „soziales Kapital“ (Putnam) großen Einfluss darauf haben, welcher Schulabschluss erreicht und welcher berufliche Aufstieg wahrscheinlicher ist. Und zwar unabhängig davon in welcher Personengruppe die Betroffenen statistisch kategorisiert sind.

Ich halte es daher für wichtig, dass künftig die soziale Herkunft generell als benachteiligungsrelevantes Merkmal auch bei Personen ohne Einwanderungsbezug dargestellt wird, so wie es auch Anne-Kathrin Will in ihrem Beitrag fordert.

Das Ziel des Vorschlags besteht darin, die gemeinsamen Nöte, Interessen und Verantwortlichkeiten von nicht Eingewanderten und Eingewanderten deutlich sichtbar zu machen und das übergreifende Merkmal ihrer geringeren Teilhabechancen im Sozialstaat zu dokumentieren. Das Aufzeigen von solchen Gemeinsamkeiten auch in amtlichen Statistiken ist richtig und wichtig, um den erforderlichen breiten Konsens in der Einwanderungsfrage zu stärken.

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