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Mehrsprachigkeit dekolonisieren – Sprachpolitik, mehrsprachige Bildung und soziale Gerechtigkeit

Kommentar von

Dr.‘in Esin Işıl Gülbeyaz, Universität Hamburg / Universität Utrecht. Ihre Schwerpunkte sind Multilingualism, first and second language acquisition in the context of migration, School and family language policy, Intercultural communication, Linguistic diversity and social justice.

– Einreichung am 30. August 2023

Mehrsprachigkeit dekolonisieren – Sprachpolitik, mehrsprachige Bildung und soziale Gerechtigkeit

 In ihrem Initialbeitrag stellen Judith Purkarthofer und Christoph Schroeder nachvollziehbar dar, dass es für Politik und Gesellschaft höchste Zeit ist, über das Hinterfragen des einsprachigen, ausschließlich an der deutschen Sprache orientierten Konzepts der Integration und der gesellschaftlichen Teilhabe hinauszugehen. Besonders auf der politischen und institutionellen Ebene sollten wir der mehrsprachigen Natur unserer Gesellschaft entsprechend handeln. Ich sage „besonders auf der politischen und institutionellen Ebene“, da zum einen in der Gesellschaft nach wie vor ein negatives Image der migrationsbedingten Mehrsprachigkeit vorherrscht; trotz (oder vielleicht aufgrund) der kostspieligen Sprachfördermaßnahmen mit einem alleinigen Fokus auf der Zweitsprache Deutsch. Zum anderen steht die Politik in der Verantwortung, durch Gesetzgebung und deren Einhaltung gesellschaftliche Veränderungen herbeizurufen.

Dem Vorschlag von Purkarthofer und Schroeder schließe ich mich an, nicht ohne vertiefend auf folgende Aspekte einzugehen:

  1. auf die Bedeutung von Mehrsprachigkeit für die institutionelle Förderung des bilingualen Schriftspracherwerbs in der Erst- und Zweitsprache mehrsprachiger Schüler*innen, der für den Bildungserfolg hochrelevant ist;
  2. auf die gegensätzlichen Konzepte von Mehrsprachigkeit („Elite-Mehrsprachigkeit“/positiv/Bereicherung im Vergleich zu „migrationsbedingter Mehrsprachigkeit“/negativ/Hindernis), die zum steten Fehlen der institutionellen Förderung der Familiensprachen[1] entscheidend beigetragen haben;
  3. und auf die aus dieser widersprüchlichen, auch (post)kolonial geprägten Binarität heraus resultierende Notwendigkeit, Mehrsprachigkeit zu dekolonisieren[2]. Denn ohne die Aufhebung des negativen Images der migrationsbedingten Mehrsprachigkeit ließe sich die gesetzliche und institutionelle Implementierung von Mehrsprachigkeit als Menschenrecht nur schwer durchsetzen. In diesem Zusammenhang schlage ich – als ein wirksames Mittel zur Dekolonisierung von Sprachen und für die Etablierung sozialer Gerechtigkeit – gesetzlich verankerte Sprachpolitiken vor, die gesellschaftliche Transformationen und somit eine „Gesellschaftswerdung“ ermöglichen, welche von der gleichberechtigten Teilhabe aller Bürger*innen getragen wird. Ein dekolonisiertes Verständnis von Mehrsprachigkeit gilt meines Erachtens ebenfalls als Grundvoraussetzung für die Implementierung der von Purkarthofer und Schroeder vorgeschlagenen pragmatischen Mehrsprachigkeit.

Im Folgenden führe ich diese drei Aspekte im Einzelnen aus.

A) Bilingualer Schriftspracherwerb – Kluft zwischen Wissenschaft und Gesellschaft

Es bestehen Unterschiede zwischen Bilingualen in einem monolingualen Kontext und Bilingualen in einem bilingualen/mehrsprachigen Kontext. Im mehrsprachigen Kontext wird Mehrsprachigkeit durch eine gute Infrastruktur und administrative Unterstützung gefördert, während im monolingualen Kontext Mehrsprachigkeit eine nur minimale Unterstützung erhält. Mehrsprachige Menschen, die eine Arbeitsmigrationssprache wie bspw. Türkisch, Kurdisch oder Arabisch sprechen, leben in Deutschland in einem monolingualen Kontext und erhalten wenig oder keine schulische Förderung in ihrer Familiensprache, wie auch Purkarthofer und Schroeder in ihrem Initialbeitrag ausführen. Dadurch, dass die Familiensprachen nicht in das Curriculum integriert sind, sind die betroffenen Sprachminderheiten für den Erhalt ihrer Familiensprachen selbst verantwortlich. Werden familiensprachliche Kompetenzen nicht aufrechterhalten gehen sie mit der Zeit verloren. Dies hat zur Folge, dass das für den Schulerfolg relevante formelle Register (die Schriftsprache) der Familiensprache gar nicht oder nicht zu demselben Grade wie die Schulsprache beherrscht wird. Es ist wissenschaftlich belegt, dass die mangelnde Förderung der Familiensprachen und der Kompetenzgrad ihrer Sprecher*innen oft auf das niedrige Prestige dieser Sprachen in der Gesellschaft bzw. im Bildungssystem zurückzuführen ist (Gülbeyaz 2022: 44).

Auch im Zusammenhang mit der Förderung des Schriftspracherwerbs in der Erst- und Zweitsprache wird der wissenschaftliche Forschungsstand auf der politischen und institutionellen Ebene nicht berücksichtigt: Von der schulischen Förderung der Erstsprachen profitieren zum einen nicht nur Erst-, sondern auch Zweitsprachen; zum anderen ist zur schulerfolgsrelevanten Schriftsprachentwicklung die Integration der jeweiligen Sprache/n ins offizielle Curriculum erforderlich, sowohl für monolinguale als auch mehrsprachige Individuen. Denn Schriftsprache ist ein für formelle Lebensbereiche (Schule, Studium, Beruf, Verwaltung etc.) typischer Sprachgebrauch und wird auch in monolingualen Kontexten in der Schule erlernt sowie später während des Studiums bzw. der Berufsausbildung weiter ausgebaut. Eine Möglichkeit, bilingualen Schriftspracherwerb institutionell zu fördern, sind bspw. bilinguale Schulen, die für Migrationssprachen in Deutschland nur vereinzelt vorhanden sind (Gülbeyaz 2022: 260).

 B) Gegensätzliche Konzepte von Mehrsprachigkeit

Es besteht in der Wissenschaft seit den 80er Jahren der Konsens, dass Mehrsprachigkeit weder Kinder noch Erwachsene überfordert, sondern die Sprecher*innen vielmehr mit einer kognitiven und sprachlichen Agilität ausstattet, die ihnen den Zugang zu neuen Sprachen und interkulturellen Begegnungen erleichtert. Dieser wissenschaftliche Konsens wird politisch und institutionell ganz selbstverständlich auf Sprachen übertragen, die aufgrund von (a) historischen Entwicklungen (die Sprachen der ehemaligen Kolonialmächte: Englisch, Französisch, Spanisch u.a.); (b) ökonomischen Entwicklungen (Chinesisch, Japanisch u.a.) ein hohes Ansehen genießen und oft kanonische Schulfremdsprachen darstellen. Mit derselben Selbstverständlichkeit werden jedoch die (arbeits)migrationsbedingten Sprachen nach wie vor als ein Hindernis für den Zweitspracherwerb oder gar für „Integration“ angesehen. Auf diesen Widerspruch weisen Purkarthofer und Schroeder mit Beispielen aus verschiedenen Kontexten hin.

Dieser Widerspruch, der eine positiv und eine eher negativ konnotierte Mehrsprachigkeit grundlegt, dominiert in erheblichen Teilen der Gesellschaft dem wissenschaftlichen Konsens zum Trotz, und er wirkt sich auf viele Bereiche der mehrsprachigen Gesellschaft aus, wie etwa auf gesellschaftliche Diskurse zum Kompetenzniveau: So wird trotz seit über vier Jahrzehnten vorhandenen Forschungsergebnissen zu Mehrsprachigkeit angenommen, dass Mehrsprachige ihre Sprachen „grundsätzlich nicht auf hohem Niveau“ (gemeint ist v.a. ein akademisches Sprachniveau) beherrschen (können). Diese Annahme wurde oft auch unter dem Begriff der „Halbsprachigkeit“ erfasst. Halbsprachigkeit wird dabei stets nur den Sprecher:innen von (Arbeits-)Migrationssprachen zum Vorwurf gemacht, nicht den Sprecher:innen von Englisch und Französisch, deren hegemoniales Prestige heute noch anhält. Durch diese Zwei-Klassen-Kategorisierung wird Sprecher*innen von Sprachen wie Englisch und Französisch das Potenzial gleichsam automatisch zugesprochen, ihre Sprachen kompetent zu beherrschen. Sprecher*innen von Arbeitsmigrationssprachen hingegen wird dies recht grundsätzlich und kategorisch abgesprochen. Der Mythos einer sogenannten „Halbsprachigkeit“ entsteht also in einer Umgebung, die zu einer sich weiterentwickelnden Mehrsprachigkeit nicht positiv beiträgt, da migrationsbedingt mehrsprachige Sprecher*innen sozial, politisch und ökonomisch benachteiligt sind (Beatens Beardsmore 1986: 172). Demnach wäre „Halbsprachigkeit“ also als eine Situation zu definieren, die durch die Umwelt hervorgerufen wird, und gerade nicht als eine Konsequenz von Mehrsprachigkeit oder von „durch die Erstsprache bedingten Lernschwierigkeiten“ beim Erwerb der Zweitsprache. Vielmehr belegen Studien, dass externe Faktoren wie der sozioökonomische Status einen signifikanten Einfluss auf die Sprachkompetenz mehrsprachiger Menschen haben können und dass auch Monolinguale bei ihren schulischen Bemühungen unter gleichen Umständen mit den gleichen Schwierigkeiten konfrontiert werden.

C) Mehrsprachigkeit dekolonisieren

Sprachlicher Imperialismus und Sprachwechsel

Diese oben dargestellten Aspekte einer „Zwei-Klassen-Mehrsprachigkeit“ können auch als Manifestation einer kolonisierten Mehrsprachigkeit bzw. nach Phillipson (2009: 780) als sprachlicher Imperialismus betrachtet werden:

[L]inguistic imperialism is the way nation-states privileged one language, and often sought actively to eradicate others, forcing their speakers to shift to the dominant language.

Der sprachliche Imperialismus sowie die negative Haltung gegenüber den Sprachen mehrsprachiger Menschen hat u.a. zur Folge, dass diese mit der Zeit die Sprache der Mehrheitsgesellschaft oder andere anerkannte Fremdsprachen über ihre Familiensprachen bevorzugen und ihre Familiensprachen aufgeben (Sprachwechsel), denn es wird von der Mehrheitsgesellschaft und ihren Institutionen deklariert, dass die (arbeits)migrationsbedingten Familiensprachen im Kontext der Bildung, Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie nicht verwendet werden könnten, bzw. ihre Sprachen keinen Mehrwert für diese sozialmobilitäts-relevanten Lebensbereiche darstellten (Agyekum 2018: 88). Dieser Sprachwechsel bedeutet für die Familiensprachen, dass diese gegenüber den „prestigevollen“ und politisch stärkeren[3] Sprachen an Funktionalität verlieren. Je höher die Funktionalität einer Sprache ist, als umso „mächtiger“ und bedeutender wird sie wahrgenommen. Und je mächtiger und funktionaler die politisch dominante Sprache ist, umso größer ist der sozioökonomische Druck auf die Sprecher*innen von Minderheitensprachen, diese dominante Sprache um eines besseren Lebens willen zu erlernen. Dabei werden die Familiensprachen aufgrund der ihnen von der Mehrheitsgesellschaft zugeschriebenen niedrigen Funktionalität von ihren Sprecher*innen seltener – in einigen Fällen auch gar nicht mehr – verwendet und gehen folglich verloren (Agyekum 2018: 89). Die Grenzlinie zwischen Sprachwechsel und sprachlicher Assimilation ist also sehr schmal, da Sprachwechsel in den darauffolgenden Generationen zur sprachlichen Assimilation führt.

Sprachwechsel und Sprachschwund/Sprachgefährdung sind Folge der Sprachpolitiken der kolonialen Mächte oder Nationalstaaten, wenn die Legislative den Gebrauch nur einer Sprache in öffentlichen Domänen erlaubt (Lewis 2013: 677). Monolinguale Sprachpolitik erschwert es mehrsprachigen Menschen, gesellschaftliche Teilhabe zu erlangen, ihre Potenziale zu nutzen und zu entfalten – so brillant ihre Leistungen in verschiedenen Sprachen und beruflichen Feldern sein mögen.

Sprachpolitik(en) im Bildungskontext

Sprachwechsel und Sprachschwund kommen auch durch Sprachpolitiken im Bildungskontext zustande, wenn bspw. in der Schule eine Sprache zur Bildungssprache deklariert wird und die Familiensprachen wörtlich draußen vor der Tür bleiben müssen, wie dies in Deutschland immer noch der Fall ist. Dieser Zweitspracherwerb auf Kosten der Familiensprachen kann zum Verlust von Selbstvertrauen und zu niedrigeren Schulleistungen führen. Es ist anzumerken, dass Sprachverbote für Schüler*innen eine Verletzung ihres Sprachenrechts als Menschenrecht darstellt (Annamalai & Skutnabb-Kangas 2020: 378).

Zur Aufhebung der „Zwei-Klassen-Mehrsprachigkeit“ und zur Anerkennung jeglicher Mehrsprachigkeit auf allen gesellschaftlichen Ebenen sind Prozesse der Dekolonisierung von Mehrsprachigkeit erforderlich. Gängige Mittel zur Dekolonisierung von Sprachen durch mehrsprachige Bildung sind bspw. bilinguale Schulen, Lehrpläne, Medien, insbesondere das Radio, Aufklärung über die Vorteile und die Realität(en) der Mehrsprachigkeit sowie deren widersprüchliche Interpretation (positiv vs. negativ konnotierte Mehrsprachigkeit). Sprachliche Dekolonisierung beseitigt die sprachliche Ungleichheit, Manipulation, kulturelle Unterdrückung, die durch Sprachpolitiken und die Ersetzung (der Funktionen) der Minderheitensprachen durch die Mehrheits- und Kolonialsprachen entstanden sind (Annamalai & Skutnabb-Kangas 2020: 385). Folglich kann den auf allen Ebenen der Gesellschaft (Bildung, Verwaltung, Arbeitsmarkt) rechtlich und institutionell verankerten Strukturen der Ungleichbehandlung am effektivsten mit einer pluralistischen, dekolonisierten Gesetzgebung entgegengewirkt werden. Daher möchte ich hier in Anlehnung an Annamalai & Skutnabb-Kangas (2020) für die gesetzliche Verankerung und Einhaltung von Sprachenrechten als Menschenrechte plädieren (s. bspw. Grundgesetz, Artikel 3).

Medienimperialismus

Sprachlicher Imperialismus geht mit Medienimperialismus Hand in Hand, denn es existiert – basierend auf dem Grad von Zugang zu Information – eine soziale Schichtung, und zwar dort, wo Sprecher*innen von Minderheitensprachen (indigene oder Migrationssprachen) ihre Familiensprachen in Rundfunk und Fernsehen nicht verwenden dürfen, wie dies bspw. in Ghana der Fall ist (Agyekum 2018: 91f). Die monolinguale Haltung und das Sprachverbot in den Medien stellen ebenfalls Faktoren für Sprachwechsel und Sprachschwund dar und führen zur Marginalisierung von Massen. Darum sind Medien ein unentbehrliches Instrument der sprachlichen Dekolonisierung.

Medien und Popkultur in Minderheitensprachen können dazu beitragen, den Status der betreffenden Sprache zu erhöhen, die Korpusplanung durch die Verbreitung neuer Terminologie zu unterstützen und den Spracherwerb zu fördern, indem die Sprache sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich stärker wahrgenommen wird (vgl. Agyekum 2018: 95). Die Hörer*innen lernen in den Sendungen viel über Sprache, z. B. idiomatische Ausdrücke, Etymologien von Wörtern, Sprichwörter und neue Vokabeln für moderne Konzepte in den meisten Aspekten des Lebens wie Politik, Medizin, Gesundheit, Bildung, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft. Auf diese Weise haben die Sprecher*innen von Minderheitensprachen Zugang zu einem modernen Gebrauch und zu Schrift- und Fachsprachen ihrer Familiensprachen, was sich insgesamt positiv auf alle (Sprach-)lernprozesse und Identitätsbildung auswirkt (Agyekum 2018: 95).

Resümee – Sprachenrechte und sprachlicher Pluralismus zur Dekolonisierung von Sprachen und für die Etablierung sozialer Gerechtigkeit

Einer der wirksamen theoretischen Ansätze zur Erhaltung und Dekolonisierung der Sprachen in mehrsprachigen Gesellschaften ist die Politik des sprachlichen Pluralismus und der offiziellen Mehrsprachigkeit. Der sprachliche Pluralismus oder die offizielle Mehrsprachigkeit ist ein System, das die Koexistenz verschiedener Sprachen fördert und ihnen die Möglichkeit gibt, auf gleichberechtigter Basis zu arbeiten. Mehrere Sprachen erhalten unabhängig von der Zahl ihrer Sprecher*innen die gleichen Chancen für Entwicklung und Gebrauch. Wie Agyekum (2018: 96) konstatiert, ist sprachlicher Pluralismus ein demokratischer Weg, in einem mehrsprachigen Land mit Sprachenvielfalt umzugehen.

Aus diesem Grunde erachte ich soziale Gerechtigkeit und Dekolonisierung von Sprachen durch sprachlichen Pluralismus und mehrsprachige Bildung als eine Grundvoraussetzung für eine pragmatische Mehrsprachigkeit, die auch von Judith Purkarthofer und Christoph Schroeder vorgeschlagen wird. Ich befürworte den Ansatz der Autor*innen und wollte in diesem Kommentar den Aspekt von Sozioökonomie und Macht hervorheben. Denn ohne den Willen der Politik und ohne eine auf wissenschaftlichen Fakten basierte Gesetzgebung wird auch die seit über vier Jahrzehnten anhaltende Kluft zwischen dem wissenschaftlichen Konsens und der institutionellen Haltung gegenüber der migrationsbedingten Mehrsprachigkeit nicht leicht geschlossen werden können. Und wenn wir diese Kluft bzw. den Widerspruch „positive vs. negative Mehrsprachigkeit“ nicht aufheben können, werden die Maßnahmen zur Förderung von Sprachkenntnissen – wie die Erfahrung mit dem Fokus auf das Deutsche als Zweitsprache zeigt – wenig zielführend sein. Schließlich kann angenommen werden, dass soziale Gerechtigkeit ohne sprachliche Gerechtigkeit unvollständig oder gar unmöglich ist.

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[1] Die Begriffe Familiensprache, Erstsprache, Herkunftssprache, Migrationssprachen und Minderheitensprache beziehen sich in diesem Kommentar auf Sprachen mit einer nicht-gleichberechtigen sozialen Stellung und werden daher als sinnähnliche Notionen verstanden.

[2] Sprachliche Dekolonisierung beschreibt zum einen die Maßnahmen, die in postkolonialen Kontexten ergriffen werden, um die sozialen, politischen und kulturellen Auswirkungen der Dominanz kolonialer Sprachen rückgängig zu machen. Zum anderen beschreibt sprachliche Dekolonisierung eine philosophische Herausforderung der westlichen Sprachideologien, die das koloniale Projekt untermauerten und in der postkolonialen Periode fortbestehen (Phillipson 2009: 534).

[3] „Politische Stärke“ bezieht sich auf Statusunterschiede und Machtbeziehungen zwischen Sprachen, die sich in Wirtschaftskraft, Migrationsprozessen sowie Sprachpolitiken wiederspiegeln (s. Agyekum 2018: 89).

 

Bibliographie

Agyekum, K. (2018): Linguistic imperialism and language decolonisation in Africa through documentation and preservation. In Jason Kandybowicz, Travis Major, Harold Torrence & Philip T. Duncan (Hrsg.), African linguistics on the prairie: Selected papers from the 45th Annual Conference on African Linguistics, 87–104. Berlin: Language Science Press.

Annamalai, E. & T. Skutnabb-Kangas (2020): Social justice and inclusiveness through linguistic human rights in education. In: Handbook of home language maintenance and development. Social and affective factors. Andrea C. Schalley & Susana A. Eisenchlas (Hrsg.). Hanbooks of Applied Linguistics Volume 18. Berlin/Boston: de Gruyter. S. 377-400.

Baetens Beardsmore, Hugo (1986): Bilingualism: Basic principles. 2. Auflage. Clevedon: Multilingual Matters.

Gülbeyaz, E. I. (2022): Schriftspracherwerb und Mehrsprachigkeit. Syntaktische Komplexität bei Satzverknüpfungsverfahren mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler in ihrer Erst- und Zweitsprache. 2. Auflage. Münster, New York: Waxmann.

Lewis, H. (2013): Language maintenance: A liberal-egalitarian approach. Journal of Multilingual and Multicultural Development 34(7). S. 672–689.

Phillipson, R. (2009): Linguistic imperialism. In Jacob L. Mey (ed.), Concise encyclopedia of pragmatics , 2nd edn., 780–782. Amsterdam: Elsevier Ltd.