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Sprache aus grund- und menschenrechtlicher Perspektive

Kommentar von Prof. Dr. Thomas Klein 

– Einreichung am 28. November 2023

Sprache ist Ausdruck der von den nationalen und internationalen Grund- und Menschenrechtsgewährleistungen geschützten Identität und Individualität eines Menschen. Der Beitrag wirft einen kursorischen Blick auf die Frage, welche Gewährleistungen diese Normen in Bezug auf Sprache und sprachlicher Vielfalt enthalten.

Sprache und Grundgesetz

Im Grundgesetz wird die deutsche Sprache weder als Amtssprache bestimmt noch in anderer Weise ausdrücklich erwähnt. Auch im Übrigen enthält sich die Verfassung einer Festlegung zum Umgang mit Sprachen. Erwähnung findet Sprache ausschließlich als Diskriminierungsmerkmal in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG: Niemand darf wegen seiner Sprache benachteiligt oder bevorzugt werden. Nach einer Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts erfasst dieses Verbot nicht nur Benachteiligungen wegen der Erstsprache oder einem Dialekt, sondern auch Benachteiligungen wegen mangelnder Deutschkenntnisse (BVerfG NJW 2004, 1095). Es greift jedoch nur ein, wenn an die Sprache rechtliche Nachteile geknüpft werden. Sprachbedingte Erschwernisse, die im Tatsächlichen auftreten, muss der Staat hingegen nicht auszugleichen, weshalb beispielsweise die Festlegung von Deutsch als Amtssprache das Benachteiligungsverbot nicht verletzt (BVerfGE 64, 135, 156 f.).

Auch die im Aufenthaltsgesetz für die Erteilung bestimmter Aufenthaltstitel geforderten Deutschkenntnisse sollen mit dem Benachteiligungsverbot in Einklang stehen. Entschieden hat dies das Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf das in § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorgesehene Erfordernis einfacher deutscher Sprachkenntnisse als Voraussetzung für den Ehegattennachzug. Die Versagung des Aufenthaltstitels bei fehlenden Sprachkenntnissen knüpfe, so das Gericht, nicht daran an, dass der Ehegatte eine bestimmte Sprache spricht, sondern daran, dass er nicht über einfache Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt (BVerwGE 136, 221 Randnr. 54 f.). Diese Begründung überzeugt allerdings nicht. Wenn das Verbot grundsätzlich auch Benachteiligungen wegen mangelnder Deutschkenntnisse erfasst (BVerfG NJW 2004, 1095), dürfen an das Fehlen von Deutschkenntnissen grundsätzlich keine Rechtsnachteile geknüpft werden, es sei denn, diese Benachteiligung lässt sich verfassungsrechtlich rechtfertigen. Das Bundesverwaltungsgericht hätte sich daher mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Benachteiligung wegen der mangelnden Deutschkenntnisse ausnahmsweise zum Schutz anderer verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter zulässig ist.

Da sich das Bundesverfassungsgericht bisher nur vereinzelt zu dem Verbot von Benachteiligungen wegen der Sprache geäußert hat, sind viele Fragen, insbesondere auch hinsichtlich des Umgangs mit Mehrsprachigkeit, noch nicht abschließend geklärt. Fördermaßnahmen in Schulen zur Vermittlung der deutschen Sprache unter Trennung der betroffenen Schüler vom Rest der Klasse dürften in der Regel zulässig sein, sofern sie strikt an der Herstellung der Sprachfähigkeit ausgerichtet sind und nicht zu einer dem Diskriminierungsverbot zuwiderlaufenden schulischen Segregation führen (Langenfeld 2023, Randnr. 53). Problematisch erscheinen hingegen Maßnahmen, die auf eine Assimilation von Anderssprachigen zielen, wie beispielsweise die von Judith Purkarthofer und Christoph Schroeder im Initialbeitrag erwähnte Anforderung an Schüler*innen, sich auch außerhalb des Unterrichts nicht in ihrer Erstsprache zu unterhalten. Dasselbe gilt für Maßnahmen, die darauf abzielen, in anderssprachigen Familien Deutsch als Erstsprache zu etablieren (anderer Ansicht: Kischel 2023, Randnr. 229).

Auch zu den nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ebenfalls verbotenen Bevorzugungen wegen der Sprache hat sich das Bundesverfassungsgericht bisher nicht geäußert. Praktisch relevant wird diese Frage im Zusammenhang mit der Förderung ethnischer und sprachlicher Minderheiten.  In der Literatur wird davon ausgegangen, dass Maßnahmen, die auf den Erhalt und die Förderung von anerkannten Minderheitssprachen gerichtet sind, verfassungsrechtlich zulässig sind (Langenfeld 2023, Randnr. 54). Für diese Ansicht streiten nicht zuletzt die völkerrechtlichen Garantien, die nach dem Prinzip der völkerrechtsfreundlichen Auslegung bei der Interpretation des Grundgesetzes zu berücksichtigen sind.

Internationaler Menschenrechtsschutz

Auf völkerrechtlicher Ebene werden in einigen Übereinkommen – wie im deutschen Grundgesetz – Benachteiligungen wegen der Sprache verboten. Exemplarisch können Art. 2 Abs. 1 des UN-Zivilpakts, Art. 2 Abs. 2 des UN-Sozialpakts, Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie Art. 2 Abs. 1 der UN-Kinderechtskonvention genannt werden.

Im Hinblick auf den Schutz und die Förderung sprachlicher Minderheiten gehen die völkerrechtlichen Garantien über das Grundgesetz hinaus, indem solche Maßnahmen nicht nur zugelassen, sondern gefordert werden. So sieht Art. 27 des UN-Zivilpakts vor, dass Angehörigen sprachlicher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden darf, sich gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihrer eigenen Sprache zu bedienen. Dasselbe Recht findet sich in Art. 30 der UN-Kinderrechtskonvention. Auf der Ebene des Europarates finden sich mit dem „Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten“ sowie mit der „Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen“ überdies zwei spezielle Übereinkommen, die den Schutz und die Förderung von sprachlichen Minderheiten betreffen.

In Deutschland ist die Förderung von Minderheitssprachen bislang im Wesentlichen auf die anerkannten nationalen Minderheiten beschränkt, zu denen die dänische Minderheit, die friesische Volksgruppe, die deutschen Sinti und Roma sowie das sorbische Volk zählen (Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat 2019). Die völkerrechtlichen Gewährleistungen bieten indes Potential für einen weiterreichenden Schutz sprachlicher Minderheiten. So versteht der UN-Menschenrechtsausschuss den Begriff der Minderheit in Art. 27 des UN-Zivilpakts etwa dahingehend, dass er alle Personen erfasst, die zu einer Gruppe gehören und sich eine gemeinsame Kultur, Religion und/oder Sprache teilen. Es wird also keine längere Tradition der Minderheit innerhalb des Staates gefordert, so dass auch zugewanderte Minderheiten von Art. 27 des UN-Zivilpakts erfasst sind (Hoffmann/Boldt 2005, Randnr. 1).

Sprachliche Vielfalt in der Europäischen Union

Die Europäische Union (früher die Europäische Gemeinschaft) bemühte sich von Anfang an nicht um sprachliche Vereinheitlichung. Nach Art. 2 des EU-Vertrags zeichnet sich die Gesellschaft innerhalb der EU unter anderem durch Pluralität und Toleranz aus. Die Union wahrt „den Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt“ (Art. 3 Abs. 3 des EU-Vertrags), die sich auch in der Charta der Grundrechte der EU widerspiegelt. Nach Art. 22 der Charta achtet die Union die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen. Es gibt daher nicht eine europäische Amtssprache, sondern 24 gleichberechtigte Sprachen in der EU (vgl. Art. 55 des EU-Vertrags). Dass trotz (oder vielleicht auch wegen) dieser Sprachenvielfalt ein Integrationsprozess möglich ist, wird durch die Entwicklung der EU anschaulich unter Beweis gestellt.

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Literatur:

Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (2019), Fünfter Bericht der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 25 Absatz 2 des Rahmenübereinkommens des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 17.5.1983 – 2 vR 731/80, BVerfGE 64, 135.

Bundesverfassungsgericht, 3. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 7.10.2003 – 2 BvR 2118/01, NJW 2004, 1095.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.3.2010 – 1 C 8/09, BVerwGE 136, 231.

Hoffmann/N. Boldt (2005), Internationaler Bürgerrechtepakt, Art. 27.

Kischel (2023), in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar zum Grundgesetz, 56. Edition, Stand: 15.8.2023, Art. 3.

C. Langenfeld (2023), in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz, Grundgesetz Kommentar, 101. Ergänzungslieferung M