Die Kritik an Wissenschaft, das Hinterfragen von wissenschaftlichen Befunden, Theorien und Analysen ist konstitutiver Bestandteil der wissenschaftlichen Praxis und genuines Element einer akademischen Streitkultur, die das Ziel verfolgt, die Angemessenheit der jeweils ausgewählten Theorien und empirischen Methoden für die Erforschung naturwissenschaftlicher und sozial- und gesellschaftswissenschaftlicher Phänomene zu befragen. Begründete akademische Kritik dient der Qualität der Forschung, der Zuverlässigkeit der Ergebnisse und der Transparenz der Analyseschritte. In Bezug auf andere gesellschaftliche Bereiche hat Wissenschaft zudem die Aufgabe, ihre Ergebnisse zu kommunizieren und diese in gesellschaftliche Gestaltungsprozesse einfließen zu lassen. Auch diese Prozesse leben in einer demokratischen, pluralistischen Wissensgesellschaft von offen ausgetragenen Kontroversen.
Von einer so verstandenen konstruktiven Wissenschaftskritik abzugrenzen ist die interessengeleitete Diskreditierung von Wissenschaftler*innen und Forschungstraditionen. Jüngstes Beispiel hierfür ist der Versuch der AfD, den angeblich „gesellschaftsspaltenden Auswirkungen des allgegenwärtigen Rassismusvorwurfs“ ein Ende setzen zu wollen, indem kurzerhand wissenschaftliche Befunde zur Existenz des strukturellen Rassismus in Deutschland und zu rassistischen Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft als ideologisch verbrämt und unhaltbar dargestellt werden. Diese zwar auf nachvollziehbare Gründe und Belege verzichtende, um so entschiedenere Position hält ihre Vertreter*innen skurriler Weise nicht von der Behauptung ab, „dass die autochthonen Deutschen (…) die einzige Gruppe auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ist, die verächtlich gemacht und rassistisch abqualifiziert werden kann“.
Über einen Beschlussantrag an den Deutschen Bundestag vom 25. November 2020 (Drucksache 19/24654), wird dieser aufgefordert, „den Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus zum frühestmöglichen Zeitpunkt ersatzlos aufzuheben“ und „das Konzept des ´Rassismus ohne Rassen´ bzw. des ´Kulturrassismus´ wegen seiner wissenschaftlichen Unhaltbarkeit und seiner gesellschaftspolitischen Konsequenzen in ihrer Kommunikation nicht mehr zu nutzen und es ihrer Politik nicht mehr zugrunde zu legen“. Nicht Rassismus soll somit untersucht, sondern seine Thematisierung bekämpft werden, denn nicht die Wirksamkeit und Konsequenz rassistischer Unterscheidungen, sondern die Analyse dieser Praktiken wirke gesellschaftsspaltend. Eine ganze wissenschaftliche Forschungsrichtung soll – so wünscht es sich die AfD – politisch zum Verstummen gebracht werden, widersprüchlicher Weise im Dienste der „Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit in Deutschland“.
In jüngster Zeit häufen sich Versuche der Diskreditierung der Rassismusforschung durch gezielte Diffamierung ausgewiesener Rassismusforscher*innen. Mit Unterstellungen wird nicht nur ihre wissenschaftliche Integrität in Zweifel gezogen, sondern ihnen werden in verschwörungstheoretischer Manier gesellschaftszersetzende Intentionen untergeschoben. Die dabei bemühte Argumentation ereifert sich in kaum verhüllten, rassistisch grundierten Phantasmen, etwa in den Anwürfen des Sprechers der Fraktion der AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt gegen Professorin Maisha Maureen Auma.
Solche Versuche der Diskreditierung der Rassismusforschung durch gezielte Diffamierung verfolgen nicht nur das Ziel, durch Aktivierung populistischer Parolen die eigene Klientel zu bedienen, sondern nehmen für sich in Anspruch, das ´Volk´ gegenüber Zumutungen der vermeintlich mit eigenen politischen Interessen agierenden Wissenschaft gleichsam zu schützen. Kritische Gesellschaftsanalysen der Gender- und Rassismusforschung sind davon ebenso wenig ausgenommen wie medizinische Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Sie sind Gegenstände, an denen sich Wissenschaftsfeindlichkeit als politisches Machtmittel zur Durchsetzung der eigenen Weltsicht manifestiert.
Wissensproduktion in einer demokratischen Werten verpflichteten Gesellschaft findet in einem Rahmen statt, der die Pluralität von wissenschaftlichen Ansätzen nicht nur zulässt, vielmehr benötigt. Die Grenze dieser Pluralität ist Menschenverachtung.
Yasemin Karakaşoğlu und Paul Mecheril
(Vorsitzende des Rats für Migration e.V.)
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