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Kommunalwahlen in NRW 2020. Was heißt das Ergebnis für die kommunale Migrationspolitik?

Eine deskriptive Kurzanalyse, erstellt von Dr. Sebastian Kurtenbach aus der Sektion Stadt und Region des RfM e.V.

Bekannt ist die Aussage „Integration findet vor Ort statt“. Diese so phrasenhaft anklingende Redensart drückt ein gegenwärtiges Phänomen aus. So sind Kommunalwahlen auch immer eine Entscheidung darüber, wie Integration vor Ort stattfinden soll. Denn die Kreistags- und Ratsmehrheiten und Oberbürgermeister*innen nehmen maßgeblichen Einfluss darauf, welche Projekte und Angebote in ihrer Kommune stattfinden, welcher Ton die öffentliche Debatte beherrscht und wie ein Miteinander, zwischen jung und alt, mit- und ohne Migrationsvorgeschichte oder auch arm und reich aussehen kann. Im Folgenden wird die Kommunalwahl in NRW am 13.09.2020 sowie die Oberbürgermeister*innenwahl (Stichwahl am 27.09.2020) genauer betrachtet. Wahlen in NRW sind immer etwas Besonderes, da sie im Bevölkerungsreichsten Bundesland auch als Stimmungstest für die Landes- oder Bundesebene interpretiert werden. Das ist zwar nicht fair, aber Realität. Zudem stand die Wahl in NRW unter mehreren besonderen Vorzeichen. Es war die erste Wahl an Rhein und Ruhr seit Ausbruch der Corona-Pandemie, was den Wahlkampf deutlich erschwerte. Auch war es die erste lokale Abstimmung, in welcher flächendeckend die rechtspopulistische AfD antrat und welche vor dem Hintergrund der breiten Klimaproteste abgehalten wurde.

All dies prägte den Wahlkampf, welcher anders war als sonst. Denn in der „Schule der Demokratie“, der Kommune, wo Politiker*innen die selbst zur Wahl stehen verstärkt Straßenwahlkampf machen oder (Ober-)Bürgermeister*innenkandidat*innen auf Podiumsdiskussionen Rede und Antwort stehen, waren diesmal Abstand und Hygienemaßnahmen angesagt. Die Nähe zu den Wähler*innen, welche sonst die Kommunalpolitik prägt, war nicht gegeben. Dabei wurden zwei Themen im Wahlkampf vielerorts diskutiert: Bezahlbares Wohnen und Mobilität. Migration war nur punktuell Thema, wie in Rheda-Wiedenbrück als Konsequenz aus dem Tönnies Skandal. Im Wahlergebnis wurde die CDU stärkste Kraft im Land, die SPD verlor dramatisch und die Grünen gewannen. Die FDP, Linke und die AfD blieben in ihrem jeweiligen Zuspruch relativ stabil, die Wahlbeteiligung lag landesweit bei 51,9 Prozent. Vereinzelnd gab es auch andere Parteien oder Wählergruppen, welche Punkten konnten, wie die europafreundliche liberale Volt Partei in Köln, welche bei der Ratswahl 5,5 % der Stimmen auf sich vereinen konnte.

Folgend werden ausgewählte Ergebnisse in Bezug auf Migration auf der Ebene der Kreise und kreisfreien Städte vorgestellt, diese beziehen sich vor allem auf die Wahlen zu den Kreistagen und Stadträten. Aus diesen Ergebnissen werden Folgerungen für die kommunale Migrationspolitik in NRW gezogen.

 

Die Analyse der Wahlergebnisse in NRW

Neben den Wahldaten werden Daten zur Sozialstruktur genutzt, darunter der Ausländeranteil (Datenstand 31.12.2019) zur Abbildung der Migrationsprägung eines Ortes. Der Begriff Ausländer*in meint Personen, die keine deutsche Staatsangehörige sind. Das Merkmal ist damit nur eine Annäherung, aber für alle Kreise und kreisfreien Städte verfügbar. Bei einer Untersuchung zwischen dem Ausländeranteil und der Wahlbeteiligung zeigt sich, dass je höher der Ausländeranteil in einem Stadtgebiet/viertel/Nachbarschaft ist, desto geringer ist die Wahlbeteiligung insgesamt. Das ist umso bemerkenswerter, da Ausländer*innen, mit Ausnahme von EU-Bürger*innen, bei Kommunalwahlen in NRW kein Stimmrecht haben. In Abbildung 1 sind dazu auch die Mittelwerte des Ausländeranteils und der Wahlbeteiligung eingezeichnet sowie kreisfreie Städte und Kreise voneinander unterschieden. Nahezu alle kreisfreien Städte liegen im oberen linken Viertel, was bedeutet, dass sie einen überdurchschnittlichen Ausländeranteil haben und die Wahlbeteiligung dort unterdurchschnittlich ist. Bei Landkreisen ist der Befund umgekehrt. Zu erklären ist dies auch durch die erhöhte Armutsquote in kreisfreien Städten, denn Armutsgefährdung führt relativ häufig zu Wahlabstinenz.

Abbildung 1: Zusammenhang zwischen der Wahlbeteiligung an der Ratswahl 2020 und dem Ausländeranteil in NRW auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte

Die weitergehende inhaltliche Betrachtung zeigt, dass die landesweite Wahlsiegerin CDU dort relativ schwach abgeschnitten hat, wo der Ausländeranteil erhöht ist. Das hat nur deswegen nicht das Ergebnis der Union negativ beeinflusst, da, wie gezeigt, an den Orten mit erhöhtem Ausländeranteil die Wahlbeteiligung geringer ist. Das ist auch bei innerstädtischen Betrachtungen der Fall. Beispielsweise lag in Köln-Chorweiler (Mitte), einer armutsgeprägten Großwohnsiedlung mit erhöhtem Ausländeranteil, die Wahlbeteiligung bei der Ratswahl bei 22,50 %, bei den Stichwahlen zur Oberbürgermeister*innenwahl am 27.09.2020 bei 10,73%. Der Befund belegt, dass dort wo Migration Alltag ist, die Union sich schwerer tat als anderswo und das sowohl auf der gesamtstädtischen als auch auf der kleinräumigen Ebene. Zudem hat sie in kreisfreien Städten insgesamt schlechter abschnitten als in Landkreisen, auch wenn die interne Heterogenität der beiden Gruppen relativ groß ist.

Abbildung 2: Zusammenhang zwischen dem CDU-Ergebnis bei der Ratswahl 2020 und dem Ausländeranteil in NRW auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte

Wahlverlierer der Kommunalwahl 2020 war die SPD. Landesweit holte sie nur 24,3 Prozent der Stimmen und konnte auch bei den Wahlen zu Bürgermeister*innen und Landrät*innen kaum Erfolge erzielen. Die Sozialdemokrat*innen waren vor allem in Großstädten erfolgreich, was in NRW nicht zuletzt durch die Städte des Ruhrgebiets bedingt ist, und zugleich an Orten mit erhöhter Migrationsprägung. Das zeigt sich besonders bei der innerstädtischen Betrachtungen von Großstädten. Beispielsweise holte die SPD in Duisburg im Stimmbezirk 603, welcher das Kerngebiet vom migrationsgeprägten Stadtteil Duisburg-Marxloh bildet, 30,2 Prozent der Stimmen (fast 12 Prozent weniger als noch 2009) und damit die meisten vor Ort. Die Wahlbeteiligung in dem Bezirk lag jedoch nur bei sieben Prozent, sodass der relative Gewinn nicht zum Gesamtergebnis der SPD beitragen konnte. Das Problem der SPD liegt nicht alleine im insgesamt geringen Zuspruch, sondern auch daran, dass sie an Orten gewählt wurde, an denen die Wahlbeteiligung gering war.

Abbildung 3: Zusammenhang zwischen dem SPD-Ergebnis bei der Ratswahl 2020 und dem Ausländeranteil in NRW auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte

Aus räumlicher Perspektive ergibt sich ein ähnliches Muster für die SPD wie für die rechtsextreme AfD. Sie konnte vor allem in migrationsgeprägten Orten und Großstädten vergleichsweise gute Ergebnisse erzielen, auch wenn sie insgesamt nur 5,0 Prozent der Stimmen erhalten hat. Dort wo der Ausländeranteil erhöht ist, hat die AfD relativ viele Stimmen bekommen, beispielsweise in Gelsenkirchen, wo die Rechtsextremisten mit 12,9 Prozent ihr landesweit bestes Ergebnis erzielt haben. Umgekehrt konnten sie im liberalen und vergleichsweise gering polarisierten Münster nur 2,2 Prozent der Stimmen gewinnen. Auch auf kleinräumiger Ebene ist dieser Zusammenhang zu sehen. An Stadtteilen mit hoher armuts- und Migrationsprägung hat die AfD relativ gute Ergebnisse erzielt, beispielsweise in Köln-Chorweiler (Mitte), Duisburg-Hamborn oder Düsseldorf-Garath. Das legt den Schluss nahe, dass Kontakt zwischen Zuwanderer*innen und länger Ansässigen alleine im Alltag nicht zum Abbau von Vorurteilen führt. Das ist wohl die größte Herausforderung kommunaler Migrationspolitik für die kommende Legislaturperiode: Teilhabe auch dort zu ermöglichen, wo Menschen sich abgehängt fühlen.

Abbildung 4: Zusammenhang zwischen dem AfD-Ergebnis bei der Ratswahl 2020 und dem Ausländeranteil in NRW auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte

Der zweite Wahlgewinner der Kommunalwahl 2020 in NRW sind die Grünen. Sie konnten sowohl in Landkreisen mit geringer Migrationsprägung als auch in Großstädten mit hoher Migrationsprägung relative viele Stimmen gewinnen. Bei einem Blick auf die innerstädtischen Muster zeigt sich allerdings, dass sie in den armuts- und migrationsgeprägten Stadtteilen nur relativ wenige Stimmen erzielen konnten. Durch die geringe Wahlbeteiligung in diesen Bezirken, trübte dies aber nicht ihr Gesamtergebnis. Die Machtbasis der Grünen bilden die Mittelschichtsgeprägten Stadtteile. Für die Grünen wird es demnach in der künftigen Legislaturperiode darum gehen müssen diese breite Machtbasis zu halten. Welche Auswirkungen dies auf die Gestaltung kommunaler Migrationspolitik haben wird, ist nicht abzusehen. Es wird darauf ankommen, ob die Partei auch dort erfolgreich sein möchte wo sie es bislang nicht war, also konkret in Bezirken, in denen die Wahlbeteiligung gering war.

Abbildung 5: Zusammenhang zwischen Die Grünen-Ergebnis bei der Ratswahl 2020 und dem Ausländeranteil in NRW auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte

Was bedeuten die Wahlergebnisse für die Gestaltung kommunaler Integrationspolitik: Fünf Punkte

Aus der Kurzanalyse der Wahlergebnisse folgen fünf Punkte für die künftige Gestaltung der kommunalen Integrationspolitik:

  1. Kontakt alleine hilft nicht: Das relativ starke Abschneiden der rechtsextremen AfD an Orten mit erhöhtem Ausländeranteil legt den Schlauss nahe, dass der Kontakt im Alltag alleine nicht reicht, um Vorurteile abzubauen. Das ist vor allem unter den Bedingungen räumlich verfestigter Armut der Fall. Daher braucht es eine breit angelegte Partizipationsoffensive, welche Mitbestimmung im Alltag erlebbar macht und den gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort stärkt. In NRW ist mit den kommunalen Integrationszentren, flächendeckend die Infrastruktur vorhanden, um eine solch diversitätssensible Quartiersentwicklungspolitik voranzutreiben.
  2. Migration ist vor allem eine urbane Realität, braucht aber landesweite Strategien: Die Daten zeigen, dass in NRW Migration vor allen in den Großstädten zum Alltag gehört. Dort haben sich häufig einzelne Stadtteile zu Zuwanderungsschwerpunkten entwickelt, weswegen wir von einer zweifach segregierten Diversität ausgehen müssen, zum einen in Städten und zum anderen in einzelnen Stadtteilen konzentriert. Das ist kein Zufall, denn als Migrant*innen gelesene Menschen machen häufig Diskriminierungserfahrungen auf dem Wohnungsmarkt, weswegen überhaupt nur wenige Wohnlagen für sie verfügbar sind. Um Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt jedoch landesweit zu fördern, braucht es einer Initiative, welche Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt effektiv verhindert. Auch müssen kleinere Kommunen den Schritt der interkulturellen Öffnung vollziehen, was sowohl die Ausrichtung der jeweiligen Kommunalverwaltung als auch der Betriebe vor Ort betrifft.
  3. Rechtspopulisten punkten nicht: Die rechtsextreme AfD konnte bei der Wahl nur dort Punkten, wo Menschen unter räumlich verfestigten Problemlagen leben, zugleich war dort die Wahlbeteiligung am geringsten. Während die geringe Wahlbeteiligung ein Anzeichen von Gestaltungspessimums ist, was anzugehen ist, zeigt es auch, dass die AfD landesweit keine diskursive Durchsetzungskraft hat. Sie bestimmt die politische Agenda nicht und deswegen muss sich die kommunale Integrationspolitik auch nicht an den Forderungen nach gesellschaftlicher Schließung orientieren.
  4. Es braucht eine ernstgemeinte kommunale Integrationspolitik: Deutschlandweit ist NRW sicher einer der Vorreiter der kommunalen Integrationspolitik, zumindest unter den Flächenländern. Allerdings verbleibt dies zu häufig auf einer konzeptionellen Ebene und auf Kreisverwaltungen und Verwaltungen kreisangehöriger Kommunen beschränkt. Jede Kommune steht vor der Aufgabe tragfähige Konzepte mit lokaler Passung auszuarbeiten. Dazu gehört die interkulturelle Öffnung der Verwaltung, beispielsweise durch Konzepte zur Mehrsprachigkeit, aber auch die Förderung von Migrant*innenselbstorganisationen und der gleichberechtigten Repräsentation aller Gruppen auch in den Entscheidungsebenen.
  5. Partizipative Weiterentwicklung bereits vorhandener Infrastruktur: In NRW kann auf einer bereits gut ausgebauten Struktur, wie die kommunalen Integrationszentren und den Integrationsagenturen, zurückgegriffen werden. Es kommt nun darauf an diese auch so weiterzuentwickeln, dass sie beispielsweise einer diversitätssensiblen Quartiersentwicklung zuträglich sind. Im Mittelpunkt muss die weitere Partizipation auch von Menschen mit Zuwanderungsvorgeschichte stehen, die sich ebenfalls eingeladen fühlen müssen, beispielsweise an Kommunalwahlen, teilzunehmen.

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